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Die Bärtierchen und das polarisierte Licht (III)

Die Fachliteratur beschreibt die Bärtierchenstilette als (zumindest teilweise) calcithaltig. Die Bärtierchen werden deshalb Calcium aus ihrer Umgebung aufnehmen müssen. Zumindest bei den hier früher beschriebenen maritimen Bärtierchen von Mali Losinj (Kroatien) sollte das kein Problem sein: Der sie umgebende Sand besteht fast vollständig aus Calcit. Beim Durchmustern des Mali Losinj Sandes zeigen sich unter dem Mikroskop sogar immer wieder wirklich schöne, kleine Calcit-Kristalle.


[ Mikroskopisch kleiner Calcitkristall aus dem Meerwasser vor Mali Losinj, Kroatien ]

Mikroskopisch kleiner Calcitkristall aus dem Meerwasser vor Mali Losinj, Kroatien.

Um nun plausibel zu machen, dass es sich hier tatsächlich um Calcit handelt, könnten wir so einen kleinen Kristall zum Beispiel mit Pipette oder Pinzette herausfischen und schauen, ob er sich in Essig unter Gasentwicklung löst (so verhalten sich nämlich nur sehr wenige Mineralien oder Gesteine). Im Hinblick auf unsere geplante Untersuchung der Bärtierchen-Stilette erscheint diese chemisch-ätzende Vorgehensweise allerdings steinzeitlich, wäre sozusagen mörderisch unfreundlich!

Es gibt erfreulicherweise - neben der oben im Bild erkennbaren, idealerweise trapezoiden Silhouette dieser Calcitkristalle - noch eine Reihe von weiteren Materialeigenschaften, die bei der stofflichen Identifikation von Calcit helfen können. Bereits an den, teils wirklich winzigen, Calcitkristallen aus dem Meer ist häufig eine deutlich ausgeprägte Doppelbrechung zu erkennen, die sich, wie der Name schon andeutet, in einer Art Geisterbild, eben einer Verdoppelung der inneren Konturen äußert:


[ Doppelbrechung an einem Mikroskopisch kleinen Calcitkristall aus dem Meerwasser vor Mali Losinj, Kroatien ]

Doppelbrechung an einem mikroskopisch kleinen Calcitkristall aus dem Meerwasser vor Mali Losinj, Kroatien. Bildbreite ca. 1 mm.

Sogar ohne Mikroskop ist diese Calcit-Doppelbrechung bei den viel größeren Calcit-Einkristallen zu beoabachten, die wir z.B. auf Mineralienmessen oder bei Ebay für wenige Euro erwerben können:


[ Doppelbrechung an einem Calcitkristall ]

Doppelbrechung an einem größeren Calcitkristall.

Zwar zeigen auch andere Mineralien Doppelbrechung, der Calcit ist jedoch so eine Art Weltmeister unter den gängigen Gesteinsbildnern: seine Doppelbrechung (d.h. der maximale Brechungsindex-Unterschied zwischen den, im Kristall unterschiedlich gebrochenen, Lichtstrahlen) hat einen Betrag von 0,172. Zum Vergleich: Beim Quarz ist der Wert 0,009.

Doppelbrechende Substanzen sind daran zu erkennen, dass sie beim horizontalen Drehen zwischen zwei Polfiltern in Auslöschungsstellung (zur Vorgehensweise siehe Journal von Feb. 2013) abwechselnd hell und dunkel erscheinen. Im Fall der Bärtierchen hätten wir jedoch damit nicht viel gewonnen: Wir würden ja lediglich nachweisen, dass eine Doppelbrechung vorliegt, jedoch nicht, daß sie sehr, sehr groß ist.

Aber halt, da war doch noch etwas, mit den Interferenzfarben - versuchen wir uns zu erinnern. Wieso zeigt unser, doch doppelbrechender Calcitkristall zwischen den gekreuzten Polfiltern nicht ähnlich schöne Interferenzfarben wie die Plastikdose im Februar-Journal? Noch schlimmer, er zeigt nicht mal schöne Farben, sondern überhaupt keine Farben!

Als glückliche Mikroskopbesitzer sehen wir jedoch so manches, was andere nicht sehen: sehr dünne Calcitplättchen zeigen im Lichtmikroskop zwischen gekreuzten Polfiltern sehr wohl leuchtende Interferenzfarben:


[ Doppelbrechung an einem Calcitkristall ]

Interferenzfarben an einem kleinen Calcitkristall (polarisiertes Licht). Der ohnehin schon recht kleine Calcitkristall weist Interferenzfarben nur dort auf, wo er ultradünn ist! Bildbreite ca. 2,5 mm.

Nur sehr, sehr dünne Calcitkristalle zeigen demnach im polarisierten Licht ausgeprägte Interferenzfarben. Sie können nun, um sich selbst davon zu überzeugen, einen Calcitkritall fein zersplittern, oder aber die, ebenfalls sehr kleinen Calcitkristalle aus einem elektrischen Wasserkocher im Mikroskop mit Hilfe von polarisertem Licht betrachten:


[ Calcitkristalle aus dem Wasserkocher ]

Winzige (dünnlagige) Calcitkristalle aus einem elektrischen Wasserkocher ergeben im polarisierten Licht sehr schöne Interferenzfarben! Bildbreite ca. 0,3 mm.

Wenn Sie das Glück haben, ein sich keilförmig verjüngendes Kristallende zu finden, werden Sie zudem sehen, daß die Interferenzfarben des Calcits eine bestimmte Abfolge zeigen, wobei mit zunehmender Schichtstärke immer weichere Pastellfarben erscheinen. Bei noch größerer Schichtdicke mitteln sich die Interferenzfarben schließlich aus und es ist dann nur noch ein unspezifisches Hellgrau zu sehen (unser Kristall im Bild gibt das nicht mehr her, aber wir wissen es ja schon von unseren Erfahrungen mit den ganz großen Kristallen).


[ Keilförmig nach rechts auslaufender Calcitkristall 1 ]

Kleiner, keilförmig nach rechts ausdünnender Calcitkristall bei normaler Beleuchtung ("Hellfeld") im Lichtmikroskop. Bildbreite ca. 0,3 mm.

[ Keilförmig nach rechts auslaufender Calcitkristall 2 ]

Der selbe Kristall beim Zuschalten des polarisierten Lichts. Die Farben verlieren mit zunehmender Schichtstärke (im Bild von rechts nach links) ihre "bissige spektrale Schärfe" und mitteln sich in noch dickeren Kristallen völlig aus, wobei zuletzt ein helles Grau entsteht.
Bildbreite ca. 0,3 mm.

Falls Sie das alles fundierter nachlesen möchten: Dank des wunderbaren Internet steht ein nicht minder wunderbares "Dünnschliffmikroskopie"-Lehrbuch von Michael M. Raith, Peter Raase und Jürgen Reinhardt kostenlos für Sie zum Download bereit. Anhand des darin enthaltenen Michel-Lévy-Diagrammes (siehe Diagramm auf S. 89 unten) können Sie schon einmal nachschauen, welche Interferenzfarben beispielsweise bei einem 5 oder 10 Mikrometer starken Bärtierchenstilett aus reinem Calcit zu erhoffen wären. Sie brauchen hierfür lediglich zwei Parameter: die angenommene Stilett-Schichtstärke [Mikrometer] sowie den, bereits oben genannten, Zahlenwert der Calcit-Doppelbrechung (0,172) - und dann einfach im Diagramm schauen, welche Interferenzfarbe sich ergeben sollte. Viel Erfolg!



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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach