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Das wunderbare Meerwasser-Nano-Aquarium - glasklar wiederholt

Nachdem unser kleines Meerwasser-Aquarium anscheinend nach wie vor gelegentlich missverstanden wird, möchten wir hier seine Charakteristik nochmals kurz zusammenfassen wie folgt: Wir nennen dieses Aquarium "Rocharium", zur steten Erinnerung an die Tatsache, dass es sich im Grunde genommen lediglich um eine genussvoll leergegessene "Ferrero Rocher"-Pralinenbox handelt. Aber wohlgemerkt, um eine Pralinenbox aus glasklarem, lebensmittelverträglichem Polystyrol - nicht aus irgendeinem stinkenden, schnell vergilbenden, Weichmacher ausdünstenden Murksmaterial! Die glasklare Box hat es in sich - und zwar im doppelten Wortsinn.


[ Das Nano-Meerwasseraquarium zum Nulltarif ]

Abb. 1: Unser Lieblings-Meerwasseraquarium, Typ "Rocharium", eine leere "Ferrero Rocher"-Pralinenbox. Befüllt ist das hier gezeigte Nano-Aquarium mit Sand aus dem Meer vor Rovinj, Kroatien. Der Sand darf wahlweise aus dem sehr seichten Wasser des Spülsaums am äußersten Meeresrand stammen, oder alternativ aus etwas größerer Wassertiefe (etwa ein bis drei Meter) eingelöffel werden. Die Sandhöhe beschränken wir auf maximal einen Zentimeter, die Meerwasserhöhe auf einige wenige Zentimeter.

Da Bodenschale und Deckel des Aquariums jeweils aus einem Stück mit sanft gerundeten Kanten und Ecken ohne Fugen bestehen, gibt es keine Undichtigkeiten, wie man sie von den großen Aquarien her kennt und es kann auch kaum Wasser verdunsten. Wir müssen lediglich den Bonsai-Minimalismus respektieren: Dieses Aquarium ist echt nano, auch im Hinblick auf seine - eher niedrige - Einwohnerzahl und die maximal erlaubte, sehr geringe Größe seiner Bewohner. Fische, Einsiedlerkrebse, größere Muscheln und Algen haben hier nichts zu suchen: Sie würden sich nicht wohlfühlen, über kurz oder lang erkranken und sterben oder sogar sofort ersticken und uns dann natürlich in besonders trauriger Weise die Wasserqualität ruinieren. Auch Sonne, Hitze und ein Übermaß an Licht gilt es nach Kräften zu vermeiden. Willkommen sind jedoch Muschelbruchstücke und ein eher gröberer, gerne calcitischer Sand.

Summa summarum genießen wir mit dem Meerwasser-Rocharium in geradezu unverschämt komfortabler Weise die immensen Vorteile eines in sich stabilen Meerwasser-Ökosystems, ohne Kosten und ohne jeglichen Pflegeaufwand. Und dies für viele, viele Monate, mit etwas Glück sogar über mehrere Jahre hinweg, bei minimalem Raumbedarf. Die Bewohner des Mikroaquariums praktizieren somit das "Downsizing" gemäß dem aktuellen Film von Alexander Payne seit vielen, vielen Jahrtausenden. Kleinsein - der ultimative ökologische Trumpf. Für unsere geschätzten Leserinnen und Leser bringt der Film insofern natürlich nichts Neues: aktive Mikroskopie vs. passiv-unterhaltsames Massenmedium Kino. Lassen Sie sich jedoch trotzdem den Spaß am Kinofilm nicht verderben!

Vergleichen Sie das Rocharium einfach mal mit dem Aufwand und den Kosten, die ein "richtiges" Meerwasseraquarium mit sich bringen würde, samt seinen Pumpen, Filtern, Lampen und chronisch pflegebedürftigen Bewohnern - ganz zu schweigen von der Notwendigkeit des Fütterns, der Messtechnik zur Überprüfung der Wasserqualität usw.

Biologielehrer und Museumspädagogen können mit Hilfe des Rochariums Meeresleben live vorführen. Adieu Formalin. Das Rocharium ist obendrein leicht zu transportieren und kann andernorts mit Hilfe eines kleinen Mikroskopes in seiner unglaublichen Artenvielfalt vorgeführt werden.

Ohne nun allzu sehr priesterlich-predigend, schlimmstenfalls salbungsvoll-hochfahrend erscheinen zu wollen, hoffen wir natürlich, dass ein derartiges Aquarium allen, die sich damit beschäftigen, einige elementare Einsichten bringt: Der Nano-Mikroskopiker braucht Geduld, weil die Artenvielfalt im Aquarium zwar groß, die jeweilige Individuenanzahl jedoch niedrig ist. Eben nicht wie im Zoo mit seiner besucherfreundlich abstumpfenden Konzentration von vermeintlich spektakulären Lebewesen, sondern eher wie im richtigen Wald, auf der echten Wiese und im tatsächlichen Meer. Der Betrachter erwirbt beim Suchen nebenbei automatisch zunehmend Demut gegenüber der rührenden Variationsbreite und Zähigkeit des Lebens. Hinzu kommt über kurz oder lang die klassische Mikroskopiker-Erkenntnis (siehe Literatur), dass sich die eigene, menschliche Existenz vom Leben in der Polystyrolbox vielleicht gar nicht so stark unterscheidet, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Natürlich gibt es im Nano-Aquarium keine religiösen und politischen Fanatiker, egal welcher Verirrungsrichtung. Erfreulicherweise existieren im ausgemagerten Milieu keinerlei Tendenzen, rudelweise kriminellen Rattenfängern, Diätpredigern und anderen frustrierten Manipulatoren nachzueifern. Auch gewisse Politiker, die sich gerne von den niedrigsten Instinkten der "Volksseele" inspirieren lassen, fehlen in dieser Welt. Schon aus rein technischen Gründen entfallen im Aquarium die Internet-Hasstiraden und der medienmäßig kultivierte Sozialneid. Es gibt jedoch im Rocharium zweifellos, genau wie bei den Menschen, ein wenig Sex, ein wenig harmonische Partnerschaft, viel Fressen und viel Fressgier sowie ein schließlich alle gleichartig verbindendes Ende, den unvermeidlichen Tod.

Statt nun weiter in angemessener Traurigkeit zu versinken können wir einfach und kostengünstig die Schönheit eines auf dem Objektträger eindunstenden Tropfens Meerwasser aus dem Nano-Aquarium genießen. Es geht sogar ohne Polfilter. Das Kochsalz kristallisiert in unglaublich schön ausgeformten, von Mal zu Mal unterschiedlichen Geometrien, die gelegentlich an Luftaufnahmen von chaotisch hingewürfelten, menschlichen Siedlungen erinnern:


[ Kristalle aus eingedunstetem Meereswasser ]

Abb. 2: Mikroaufnahme eines kleinen, auf dem Objektträger eindunstenden Tropfens Meerwasser.

Und, ach ja, die Bärtierchen haben uns mal wieder ausgetrickst: Im Sinne der bereits oben angeregten Nanoaquarien-Demut müssen wir eingestehen, dass sich auch in der Sandprobe aus Rovinj nach vollen 3 Monaten (!) Suchzeit schließlich doch ein einziger, lebendiger Tardigrade finden ließ. Wir hatten ihn einfach nicht entdeckt, wohlgemerkt auf einer Fläche von gerade mal knapp einem Quadratdezimeter. Ein einziger reicht allerdings um zu vermuten, dass es eben doch nicht der einzige sein dürfte. Wir arbeiten somit nicht - wie andere Leute - an der Rettung des kompletten Mittelmeers, sondern vielmehr an der mühsamen Sichtkontrolle einer vergleichsweise doch sehr, sehr bescheidenen Teilmenge eben dieses Mittelmeers ...


[ Halechiniscus sp. aus Rovinj, Kroatien ]

Abb. 3: Halechiniscus aus dem in Abb. 1 gezeigten Meerwasseraquarium. Körpergröße ca. 0,15 mm.

[ Halechiniscus sp. aus Rovinj, Kroatien, Detail ]

Abb. 4: Wie Abb. 3, Detail Vorderkörper.

[ Halechiniscus sp. aus Rovinj, Kroatien, Detail ]

Abb. 5: Wie Abb. 3, Detail Rückenpartie mit Magen-Darm-Trakt.

[ Halechiniscus sp. aus Rovinj, Kroatien, Detail ]

Abb. 6: Wie Abb. 3, Detail, Krallen an einem Fuß des hintersten Beinpaars.


Literatur

Walter Neubert: Geburt, Leben und Tod eines Rädertierchens. Mikrokosmos 83 (1994) S. 17 - 30.



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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach