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Enttäuschungen, leere Netze und die Polychäten

Niemand redet gerne über Misserfolge - auch wir nicht. Dabei hatte im Sommer des Jahres 2017 alles perfekt bärtierchenversprechend begonnen: Ein geradezu unmoralisch komfortables Urlaubshotel in der Nähe von Rovinj war schnell gebucht und von Deutschland aus ohne große Anstrengung zu erreichen.

In der kroatischen Adria hatten sich in den Vorjahren reichlich Meeres-Bärtierchen gefunden. Sie waren leicht einzulöffeln gewesen, bequemerweise gleich im filmdosenfreundlichen Kombiset, samt Heimatsand und Heimatwasser. Und sie hatten - noch erstaunlicher - die nachfolgende, schreckliche Umsiedlung aus ihrem angestammten Lebensraum verkraftet: Heimat war ja das (komplette) Mittelmeer gewesen. Dieses dürfte aus der subjektiven Bärtierchenperspektive nochmal um mindestens Faktor 1.000 größer erscheinen als es ohnehin schon ist.

Unser häusliches Landratten-Fensterbrett-Nano-Aquarium mit schätzungsweise 100 ml Meerwasser erscheint demnach im direkten Vergleich als doch sehr, sehr dürftig. Trotzdem hielten sich die Meeresbärtierchen darin bislang problemlos, bis hin zu einem Jahr, pflanzten sich sogar normal fort. Einige der Ururenkel hatten wir im jeweiligen Folgejahr zurück ins Heimatmeer entlassen (quasi "Free Tardy" statt "Free Willy" - Hollywood hat das sich hier abzeichnende, sicherlich kassensprengfähige Sentimentalitätspotential bislang noch nicht erkannt). Ein Wunder an Anpassungsfähigkeit und Lebenszähigkeit.


[ Hotelbalkon bei Rovinj, Kroatien ]

Abb. 1: Blick vom luftig teilverglasten Hotelbalkon auf eine Bucht vor Rovinj in Kroatien. Dank Lochblech ein Nicht-zuviel und Nicht-zuwenig an Sonne sowie freier Blick aufs Meer.
Abends ließ sich mit Hilfe eines Spektivs die Prozession der Delphine weit draußen auf dem Meer verfolgen. Eine vermeintlich perfekte Meeresbärtierchensuche-Basisstation.

[ Delphin im Meer vor Rovinj, Kroatien ]

Abb. 2: Nein, kein oxidierter FC-Bayern-Fußballpokal, sondern ein Delphin im Meer vor unserem Hotel. Diese Aufnahme entstand allerdings bei einer touristischen Beobachtungsfahrt, vom Boot aus.

Fast schon langweilige Routine war das Einsammeln diverser Sandproben aus Wassertiefen zwischen einem und zwei Metern. Ein prüfender Blick durchs Mikroskop im Hotel offenbarte die gewohnte Charakteristik im marinen Sandlückensystem: Fadenwürmer unterschiedlicher Größe, sanftelastisch formmutierende Plattwürmer, vereinzelte kreisrunde Diatomeen, Foraminiferen- und Winzschneckengehäuse, Milben, Muschelkrebse und Ciliaten zwischen winzigen Seeigelstachelfragmenten und Muschelbruchstücken. Genau das gesuchte Milieu. Außerdem diverses, sich zwischen den Sandkörnchen hindurchschlängelndes Getier, bei dessen Anblick so mancher Meeresschwimmer heftig erschrecken würde.

Lediglich stellvertretend für die mikroskopische Vielfalt im Mittelmeer sei hier ein grüner Ciliat gezeigt:


[ Grüner Meeresciliat, kroatische Adria ]

Abb. 3: Grüner Meeresciliat (?), kroatische Adria. Sieht aus wie das grüne Paramecium bursaria der Süßwassertümpelmikroskopiker. Zehntelmillimeterliga.

Zuhause in München, so dachten wir zumindest, würden sich dann schon die, erfahrungsgemäß weniger häufigen und schwerer zu entdeckenden Bärtierchen finden lassen. Doch leider, jedesmal wenn dort ein winziges Sandkorngewackel ein Meeresbärtierchen erahnen ließ, entpuppte sich der Urheber als ein kleiner Polychät (ein gegliederter Vielborster), in Größe, Bewegungscharakteristik und Segmentierung einem Bärtierchen entsprechend.


[ Polychaet, Kroatien ]

Abb. 4: Polychät aus der Adria vor Rovinj. Dieses Lebewesen krabbelt, genau wie die Meeresbärtierchen, bedächtig kopfwackelnd auf kleinen Sandkörnern herum. Kleiner als 0,5 mm.

Man findet im Meer übrigens auch wesentlich längere Polychätenvarianten, deren Abbildung wir Ihnen hier ersparen möchten. Soviel sei jedenfalls verraten: Eine Website polychaeta.de hätte im Website-Ranking einen deutlich schwereren Stand als baertierchen.de. Ganz normaler Hominiden-Sympathie-Rassismus. Aber, zumindest die kurzen Polychäten sind doch eigentlich auch recht putzig, nicht wahr?


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Kurzvideo: Polychät aus dem Meer vor Rovinj in Aktion. Beim genaueren Hinsehen offenbaren sich immer mehr Unterschiede zu den Meeresbärtierchen, angefangen von den merkwürdig gedoppelten Augenflecken, über die Positionierung der Kopfanhänge bis hin zu den nach Zahl und Orientierung regellos erscheinenden, namensgebenden Borsten. Ob der Mageninhalt dieses Exemplars (Muschelkrebsbabys in Mengen) einen besonderen persönlichen Essensgeschmack signalisiert oder vielmehr ein Artcharakteristikum offenbart? Wir wissen es nicht.


Allen Leserinnen und Lesern wünschen wir ein glückliches Jahr 2018, samt vollen Netzen mit dem jeweils gewünschten Inhalt!



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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach