[Titelfragment 1.1] [Titelfragment 1.2] Titelfragment 1.3]
[Titelfragment 2.1] [Titelfragment 2.2] [Titelfragment 2.3]
[Titelfragment 3.1] [Titelfragment 3.2] [Titelfragment 3.3]



Bärtierchen, Naturalists und die große Triplett-Verzweiflung (V)

Aha, Sie haben also wieder mal hier hereingeklickt. Wir schließen daraus, dass Sie zur schwindenden Restmenge deutschsprachiger Internet-Nutzer zählen, die nicht rund um die Uhr hysterische Hasspostings in ihre Tastaturen hämmern. Bravo!

Es gibt wieder einiges zu sehen, was Sie sonst nirgends im Internet finden werden - versprochen. Natürlich müssen wir uns nach den Bildbeispielen in den letzten Journalen damit abfinden, dass auch die beste und stärkste Lupe ein Mikroskop nicht ersetzen kann. Anschaulich gesprochen reichen selbst die extremsten gängigen Lupen bildlich nur an die Unterkante des Niedrig-Vergrößerungsbereichs heran. Dieser kann mit Hilfe eines Stereomikroskopes (Prapariermikroskopes) heutzutage deutlich bequemer erschlossen werden. Die folgenden Abbildungen 1 und 2 sollen veranschaulichen, wie ein Echiniscus-Tönnchen mit einer 20x Lupe bestenfalls aussieht.


[ 40x Lupe, wohl um oder vor 1900 ]

Abb. 1: Echiniscus-Tönnchen (Bärtierchen-Trockenform), subjektiver visueller Eindruck bei Betrachtung mit einer guten 20x Lupe, im Durchlicht.

[ ]

Abb. 2: Veranschaulichung des Bildeindrucks bei maximaler Konzentration auf den oben rot markierten Ausschnitt

Wenn wir dieses Lupen-Betrachtungsergebnis dem Bildeindruck am "richtigen" Mikroskop gegenüberstellen, resultiert zwangsläufig eine gewisse Ernüchterung:


[ 20x LED Triplett Lupe ]

Abb. 3: Echiniscus-Tönnchen, Bildeindruck im Mikroskop (links) und durch eine gute 20x Lupe (rechts, zwangsläufig massiv nachvergrößert). Die kleinsten Teilstriche auf der eingeblendeten Skala stehen für Hundertstel Millimeter, das gezeigte Bärtierchen misst im Trockenzustand demnach ca. 140 µm (0,14 mm). Das ist sehr wenig für eine Lupe - und selbst für ein Mikroskop nicht gerade riesig.

Der Vollständigkeit halber wollen wir jedoch erwähnen, dass es durchaus Lupen gibt, die über die heute marktüblichen Vergrößerungen von 10x, 20x oder 28x deutlich hinausreichen. Und nein, wir meinen damit nicht gewisse Lupen fernöstlicher Provenienz, die vorgeblich bei enormen Linsendurchmessern von mehreren Zentimetern eine 30fache oder sogar 40fache Vergrößerung reklamieren. Das ist natürlich alles Quatsch. Eine extrem hoch vergrößernde Lupe wird immer sehr kleine Linsen haben, ansonsten würde die winzige, bei diesen Vergrößerungen gerade noch nutzbare Bildfläche durch vagabundierendes Streulicht verdorben werden.

Im Internet, ja sogar in manchen optischen Lexika findet man immer wieder schlichtweg falsche Statements wie "Mit Lupen kann man eine Vergrößerung von bis zu 20 erreichen". Bereits der tüchtige Leeuwenhoek hatte jedoch einlinsige Mikroskope (= starke Lupen), deren Vergrößerung heute mit Werten von über 100, bis hin zu 250fach angegeben wird! Aber auch mancher kreuzbrave "Algensucher" der Jahrhundertwende kommt mit einstufiger Lupenvergrößerung locker auf 50fach, beispielsweise das in der folgenden Abbildung rechts gezeigte Gerät:


[ 20x LED Triplett Lupe, Auflösungstest  ]

Abb. 4: Abbildung eines außergewöhlich stark vergrößernden "Algensuchers" (rechts). Das Exemplar links im Bild ist bei Ebay unter dem Label "Taschenmikroskop" allgegenwärtig.
Das rechte, kleinere hingegen ist als ultraselten zu bewerten. Es hat eine Höhe von 2,7 cm, einen Maximaldurchmesser von nur 2 cm und bringt lediglich knapp 20 Gramm auf die Waage. Es könnte insofern durchaus das kleinste und leichteste Mikroskop weltweit sein! Das Oberteil des Winzlings beherbergt eine klitzekleine Linse mit 1 mm (!) freier Öffnung. Die Vergrößerung dürfte in der Größenordnung von 50fach oder höher liegen. Im Inneren, auf der Oberseite des zur Fokussierung ausziehbaren, zylindrischen Gehäuse-Unterteils befindet sich eine kreisrunde Objektträger-Glasscheibe, auf die man beispielsweise einen winzigen Tropfen Teichwasser pipettieren kann. Das Gehäuse besteht aus teils vernickeltem bzw. in den streulichtempfindlichen Flächen geschwärztem Messing.
Bildquelle: Zeitschrift MIKROKOMOS, 1915.

Nicht minder exotisch und bis zur völligen Vergessenheit selten sind alte, höher vergrößernde Einschlaglupen - derart rar, dass man schon ziemlich spleenig veranlagt sein müsste um sie auf eine Bärtierchen-Exkursion mitzunehmen. Betrachten Sie bitte das folgende Beispiel:


[ Ultra-Einschlaglupe ]

Abb. 5: Ultrakompakte, extrem hoch vergrößernde Einschlaglupe. Keine Herstellersignatur. Auf der Basis eigener Vergleiche wurde eine imposante Vergrößerungswirkung von ca. 40 bis 45 ermittelt. Dies stimmt mit der vorne auf dem Optikkopf eingepunzten Ziffer "6" überein: Eine Brennweite von 6 mm entspräche ja - übereinstimmend - einer 42fachen Vergrößerung. Vermutlich in handwerklicher Kleinserie, und wohl in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts gefertigt. Gewicht 13,4 Gramm. Gehäusematerial: Messing, teils geschwärzt, teils vernickelt.

[ Ultra-Einschlaglupe, Optikfassung  ]

Abb. 6: Ultrakompakte, extrem hoch vergrößernde Einschlaglupe. Detailansicht, von unten auf das winzige Optikgehäuse. Man beachte die verhältnismäßig schlanke, kegelige Linsenfassung, welche selbst bei hoher Vergrößerung das Objekt nicht unnötig verschattet. Auch die starke Krümmung der winzigen Linse ist ein deutliches Indiz, dass wir es hier dann doch eher nicht mit einer gängigen Senioren-Lesehilfe zu tun haben! In der Praxis braucht man beim Feldeinsatz dieser auf Extremleistung hin optimierten Lupe gute Nerven und eine wirklich ruhige Hand. Auflösung und allgemeine Bildqualität sind dann absolut traumhaft - auch ohne jegliche Vergütung (die gab es zur Herstellungszeit noch nicht!). Allem Anschein nach ist die Bildqualität nicht nur dem hervorragenden Linsensystem (siehe Abb. 7), sondern auch diversen Kunstgriffen zur Vermeidung von vagabundierendem Streulicht zu verdanken: tief eingesenkt montierte Optik, rundum abgeblendeter, geschwärzter Einblick - kluge konstruktive Charakteristika, die bei den heutigen hoch vergrößernden Lupen anscheinend nicht mehr zum Einsatz kommen; dort hat man ja die moderne Vergütung, muss nebenbei Fertigungskosten und Gewinnspanne noch ein wenig im Auge behalten ;-).

[ Ultra-Einschlaglupe, Glaskörper  ]

Abb. 7: Ultrakompakte, extrem hoch vergrößernde Einschlaglupe - Optik-Innenleben. Die hier zur Veranschaulichung ausgebaute Optik hat einen Durchmesser von 5 Millimetern und entpuppt sich beim näheren Hinsehen als klassisches, sauber verkittetes Steinheil-Triplett in beeindruckender handwerklicher Miniaturisierung. Randgeschwärzt, Ehrensache.

Die hier gezeigten Extremlupen sind derart selten, dass sie selbst den emsigsten Lupensammlern kaum bekannt oder sogar vollends verborgen geblieben sind. Sie fliegen quasi derzeit noch unter dem durchaus gierigen Lupensammler-Radar. Sollten Sie nun bei Ebay nicht sofort fündig werden, so verbleibt immerhin folgender Trost: Bei einer Bärtierchen-Exkursion sind Sie mit einem preiswerten Stereomikroskop (ab ca. 60 €) optisch ganz klar überlegen. Und moderne James-Bond-Gespielinnen werden sich von derart altbackenen Wissenschafts-Gadgets kaum noch nennenswert beeindrucken lassen!


Hauptseite


© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach