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Die merkwürdigsten Fundorte

Nachdem wir in der letzten Ausgabe typische Bärtierchen-Fundorte in Ihrer Nähe und deren Auswertung besprochen hatten, wenden wir uns nun ungewöhnlicheren Fundorten zu: Evelyn Du Bois-Reymond Marcus berichtet in den  Studies on the Fauna of Curaçao  über einen Fund bei "lat. 43° 4´ N, long. 31° W". Schauen wir einfach auf den Globus:


[Globus] [Globus, Detail]

Links sehen wir, daß die angegebenen geographischen Daten sich auf einen Ort mitten im Atlantik beziehen. Aus dem Ausschnitt rechts wird deutlich, daß sich der betreffende Ort einige 100 km nördlich der Azoren und knapp 2000 km westlich von Portugal, mitten im offenen Meer befinden muß. Andererseits schreibt Kaestner in seinem zoologischen Lehrbuch, daß Bärtierchen zwar im Wasser leben, jedoch   n i c h t  schwimmen können!
Wie ist es möglich, daß ein wissenschaftlich anerkannter Nichtschwimmer mitten im Atlantik und auf der Wasseroberfläche lebt? Du Bois-Reymond Marcus liefert die plausible Erklärung: Das betreffende, unten abgebildete Bärtierchen Styraconyx Sargassi  wurde am 21. Dez. 1930 auf "floating Sargassum" d.h. auf treibenden Sargassum-Algen, gefunden!
Huckepack auf den Algen im Golfstrom nach Osten treibend, kommt es weit herum und läßt seine Artgenossen im Golf von Mexiko hinter sich. Da müssen die Kollegen an Land sich schon an eine Taube klammern, um noch mithalten zu können. Kinchin gibt für das Bärtierchen Macrobiotus hufelandi ohne Transportmittel eine maximale Fortbewegungsgeschwindigkeit von 17,7 cm/h an (Werte von Ramazzotti und Mauci)!


Das Bärtierchen  Coronarctus tenellus  wurde im Indischen und Atlantischen Ozean in Tiefen zwischen 400 und 3700 m(!) festgestellt (Kinchin, S. 94).
Echiniscus testudo  fand sich u.a. auf der Bäreninsel (wen wundert es) und in Paris (zitiert nach Marcus).
Das grüne  Echiniscus viridis  scheint sich mit nur wenigen Orten zu begnügen: Sandwich-Inseln, Oahu (zitiert nach Marcus).
Das Bärtierchen  Thermozodium esakii  wurde von Rahm 1937 in einer heißen Quelle in der Nähe von Nagasaki gefunden und dann nie wieder. Kinchin  merkt hierzu an: "A third class of tardigrade, the Mesotardigrada, was established on the basis of the description of Thermozodium esakii  by Rahm (1937). This species was discovered in a hot spring near Nagasaki, Japan. However, since neither type material nor type locality has survived to the present day, and no other species of mesotardigrade has yet further been described, this poorly documented group will not be discussed any further here."

Das kosmopolitische Bärtierchen  Milnesium tardigradum  wurde laut Marcus gefunden in: Spitzbergen, Novaja Semlja, Norwegen (nördliches), Lappland, Finnland, Süd-, Mittel- und Nordschweden, Südwestschweden, Gotland, Bornholm, Faröer, Shetlandinseln, Orkneyinseln, Schottland, Irland, Niederlande, Kiel, mecklenburgische Küste, Rügen, bei Berlin, Mark Brandenburg, Taunus, Süddeutschland, Schwarzwald, Schweizer Jura, Schweizer Alpen (bis 4000m), Genfer See (bis 40 m tief), Rhätikon, Lüner See, Vallüla (2800m), bei Paris, Gibraltar, Comer See, Bellagio, Bukowina, Himalaja (6000m (!)), Sumatra, Java, Ost-Lombok, Teneriffa, Australien, Neuseeland, Kanada, Peru, Paraguay, Chile, Feuerland, Falklandinseln, Südgeorgien ...
Wen wundert es da noch, daß Milnesium tardigradum meist auch direkt vor der eigenen Haustür -manchmal als einzige Bärtierchenart in den Großstädten- gefunden wird.

Zum Abschluß noch eine interessante Meldung aus Frankreich:

 

Rekord unter dem Eis

Im Rahmen der Kampagne Islandsis 98 erzielte der französische "Gletscheronaut" Janot Lamberton bei seinem Abstieg auf 202 Meter Tiefe in einem grönländischen Gletscher einen neuen Rekord. Er ist in das Innere des Eises über einen "moulin" ("Mühle") genannten, kurzlebigen und sehr tiefen Schacht eingedrungen, den ein vom Schmelzwasser während des kurzen arktischen Sommers gespeister Bach gegraben hatte. Diese sportliche Leistung erlaubte auch eine Vertiefung der Kenntnisse der Wissenschaftler über die Tardigrada (Bärtierchen), wenige Zehntelmillimeter große Organismen, die die Besonderheit haben, daß sie das Einfrieren im polaren Winter überleben. Wenn es gelingt, diesen Mechanismus zu entschlüsseln, könnten sich dadurch wirksame Techniken für das Einfrieren von Organen für Transplantationen ableiten lassen.

 
 

Ursprüngliche Quelle:  www.diplomatie.gouv.fr
leider nicht mehr aktiv.



In der nächsten Ausgabe des Journals werden wir uns ein wenig ausgiebiger mit den zum Teil recht bizarren Eiern der Bärtierchen befassen. Hoffentlich bis bald ...



© Text, Abbildungen, Repro und Animation von  Martin Mach


Literatur:

Alfred Kaestner: Lehrbuch der speziellen Zoologie. 3. Auflage, Bd. I, Teil 1, S. 596.
Ian M. Kinchin: The Biology of Tardigrades. Portland Press, London 1994.
Evelyn du Bois-Reymond Marcus: Tardigrada from Curaçao, Bonaire and Los Testigos. Studies on the Fauna of Curaçao and other Caribbean Islands X (1960) S. 52-57.
Ernst Marcus: Bärtierchen (Tardigrada). Gustav Fischer Verlag, Jena 1928.


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