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Bärtierchen - Video

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Pastor Goeze aus Quedlinburg, Entdecker der Bärtierchen, schreibt im Jahr 1773:

"Seltsam ist dieses Thierchen,
weil der ganze Bau seines Körpers ausserordentlich und seltsam ist,
und weil es in seiner äusserlichen Gestalt, dem ersten Anblicke nach,
die größte Aehnlichkeit mit einem Bäre im Kleinen hat.
Dies hat mich auch bewogen, ihm den Namen des  kleinen Wasserbärs  zu geben."

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Die Erfindung des Mikroskopes ging zunächst an den meisten Menschen vorbei. Nicht nur, weil die Geräte anfangs ausgesprochen kostspielig waren, sondern in erster Linie, weil sich kaum jemand vorstellen konnte, daß im Mikrokosmos – abgesehen von Staub und unscheinbaren Würmern – irgend etwas Nennenswertes verborgen sein könnte.

Erst der Amsterdamer Tuchhändler Antoni van Leeuwenhoek (1632 – 1723), ein reiner Amateur, stieß mit seinen spektakulären mikroskopischen Beobachtungen das Tor zu einer überraschend vielfältigen, lebendigen Kleinwelt auf. In Deutschland folgten zunächst nur einige wenige barocke Lebemänner und Adelige seinem Vorbild. Sie berichteten, nicht zuletzt der staunenden Damenwelt, von ihren spektakulären mikroskopischen Expeditionen.
Kunstmaler August Johann Roesel von Rosenhof (1705 – 1759) präsentierte seine "Insektenbelustigungen" mit pittoresken Beschreibungen des Süßwasserpolypen und des Ameisenbärs.

Heute erzielen Antiquare gerade mit Roesels Publikationen Spitzenpreise, vielleicht deshalb, weil seine im positiven Sinne kindliche Begeisterung auch Jahrhunderte später noch ansteckt und sich erfrischend von den, manchmal allzu wissenschaftlichen, staubtrockenen Werken seiner Nachfolger abhebt.


Johann August Ephraim Goeze (1731-1793),   
Pastor in Quedlinburg,   
berühmter Käferforscher und Verfasser   
der ersten Bärtierchenpublikation (1773).   

[ Batillipes Bärtierchen, Haftlappen ]


Der Entdecker der Bärtierchen, Quedlinburger Pastor und Amateurmikroskopiker Johann August Ephraim Goeze (1731-1793) wollte seine Leser auf unterhaltsame Weise belehren. Seine Leistungen reichen jedoch weiter: Überregional bekannt wurde er durch seine umfangreichen entomologischen Werke. Nicht zuletzt legte Goeze eine im Kollegenkreis hoch angesehene und später teurer verkaufte Bandwurmsammlung an. Goezes Biographin Gertrud Gehre berichtet, dass sogar die Quedlinburger Äbtissin Anna Amalia ein Exemplar von Goezes Wurmbuch in ihre Bibliothek aufnahm. Goeze bestellte sein erstes Mikroskop 1772 in Leipzig, bei dem renommierten Optiker Samuel Gottlieb Hoffmann. Gertrud Gehre berichtet, dass der Pastor fast vor Angst verging, weil das heiß ersehnte, kostbare Gerät ausgerechnet in einer Zeit heftiger Überschwemmungen in einem der chronisch kippgefährdeten Postwagen angeliefert werden musste. Wir können uns gut ausmalen, wie Goeze nach Erhalt der Post seiner jugendlichen Ehefrau Leopoldine noch schnell einen flüchtigen Kuss aufdrückt, dann jedoch eilends die geheimnisvolle Holzkiste aufhebelt und mit dem neuen Gerät in seinem Arbeitszimmer verschwindet.

Genau wie Antoni van Leeuwenhoek ist auch Goeze sofort vom Leben im Wassertropfen fasziniert. In den folgenden Wochen und Monaten inspiziert er die Wassergräben und Teiche seiner Heimatstadt Quedlinburg. Bereits am 10. Dezember 1772 protokolliert er einen spektakulären Fund. Aufgeblasene Sprüche, wie wir sie aus der Manager- und Politikersprache des 21. Jahrhunderts kennen, waren dem frommen Mikroskopiker fremd. In feinem Understatement hält er fest, er habe in der Entengrütze eines stehenden Gewässers ein kleines "Würmchen" gefunden. Schon ein Jahr später, 1773, publiziert er seine Beobachtungen und bereichert die Welt um die erste Abbildung eines Bärtierchens. Sein Schreibstil verrät den Pädagogen und Routinier. Wir dürfen nicht vergessen, daß der Leser des 18. Jahrhunderts im Vergleich zum abgebrühten Publikum von heute möglicherweise ein wenig misstrauischer ist. Das Mittelalter liegt noch nicht weit zurück, Scharlatane und Schwindler jeglicher Couleur reisen von Ort zu Ort und sind nicht so leicht zu enttarnen wie heute. Goeze formuliert klar und seine Texte sind auch heute noch gut lesbar. So erklärt er uns mit dem oben zitierten Ausspruch sehr anschaulich, warum er den Wasserbären mit genau diesem Namen versehen musste. Im 19. Jahrhundert richten Pastor Goezes Forschernachfolger ihre, nun schon erheblich besser abbildenden Mikroskope ebenfalls auf die Bärtierchen. Mit schier unendlicher Geduld beschreiben sie feinste anatomische Details und stellen viele Ähnlichkeiten zu anderen, wesentlich größeren und wesentlich weniger durchsichtigen Lebewesen fest. Der französische Zoologe Doyère publiziert eine Zeichnung, welche das komplette Nervensystem des von ihm 1840 entdeckten Bärtierchens Milnesium tardigradum wiedergibt. Man erkennt auf dem liebevoll-detailliert ausgeführten Stich unter anderem ein kompliziertes bauchseitiges Strickleiterganglion in welchem vier Ganglienknoten quasi die Leiterstreben bilden. In den Ganglienknoten bemerkte schon Doyère Anhäufungen von Nervenzellen mit klar abgegrenzten Zellkernen und den für die Nervenzellen charakteristischen, großen Nucleoli. Von den Nervenzellen führen Nervenzellenfortsätze weg, die in Form des Doyère'schen Nervenhügels an den Muskelfasern ansetzen. Nicht zuletzt ist auf Doyères Diagramm zu erkennen, dass von den Ganglienknoten aus einzelne Nervenstränge zu den Augen und zur übrigen Kopfsensorik, insbesondere den Wangenpapillen, führen. Wer dieses Bild genauer anschaut, wird ohne weiteres verstehen, dass man von nun an auch den Bärtierchen ein differenziertes Sinnesleben zutraute, von dem hier im Bärtierchen-Journal immer mal wieder die Rede ist.

Anatomie des Bärtierchens
   Milnesium tardigradum,
im 19. Jahrhundert
    von dem französischen Zoologen
Louis Doyère (1811 - 1833)
gezeichnet.

[ Batillipes Bärtierchen, Haftlappen ]


Die ehrwürdige (Honourable) Mrs. Ward, eine irische Amateurastronomin, Mutter, Mikroskopikerin und Buchautorin (1827 – 1869) beschreibt in ihrem Mikroskopie-Lehrbuch sehr anschaulich eine erste Begegnung mit dem Bärtierchen:

"Ich habe meinen ersten Wasserbären gesehen, als ich einmal etwas Seegras in meiner Live-Box [Anmerkung: einem Mikroaquarium] untersuchte. Plötzlich kamen ein Kopf und ein Paar Füße ins Bild und ich dachte mir 'das ist eine kleine Insektenlarve', rechnete damit, dass ein langer, in viele Segmente aufgeteilter Körper folgen würde. Ganz überraschend zeigte sich das Tier jedoch schnell als Ganzes und stolzierte nun auf einem kleinen Ästchen herum. Es sah einem verspielten Hund so ähnlich, dass ich es zunächst gar nicht glauben wollte!! Als ich meinem ersten Wasserbären durch geringfügiges Anheben des Deckels der Live-Box etwas mehr Bewegungsspielraum verschaffte, hatte ich für einige Minuten das merkwürdige Gefühl, dass er mich mit seinen Augen anstarrte. Er erinnerte mich in dieser Haltung mit seiner hellen Farbe stark an einen Eisbären."



Weiterführende Literatur

Gertrud Gehre-Herbener: Johann August Ephraim Goeze (1731 - 1793). Teil 1: Prediger, Pädagoge und Naturforscher in Quedlinburg. Quedlinburger Annalen 8 (2005) S. 94 - 104.

Gertrud Gehre-Herbener: Johann August Ephraim Goeze (1731 - 1793). Teil 2: Der Naturforscher. Quedlinburger Annalen 9 (2006) S. 57 - 65.




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© Text und Video von  Martin Mach