Das Bärtierchen-Journal
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Tod eines Bärtierchens - vom Mythos zur Realität

Wir selbst, aber besonders auch viele wissenschaftsorientierte Autoren rücken das Bärtierchen gelegentlich in den Bereich des Überirdischen. In den Texten beeindrucken die Bärtierchen dementsprechend durch ihre unglaublich hohe Toleranz gegenüber radioaktiver Strahlung sowie durch die enorme Resistenz ihrer Trockenformen gegenüber Säure- und Lösemittelattacken, gegenüber siedeheißem Wasser und Weltallskälte. Wer von uns Menschen könnte schließlich in einem Gletscherkamin, am Meeresgrund oder hoch oben im Himalaya auf Dauer überleben? Ist das Bärtierchen quasi ein James Bond in einer Welt von ansonsten eher mittelmäßig anmutenden Geschöpfen?

Wir müssen hier nicht, wie so mancher andere Autor, das Wesen der Bärtierchen notgedrungen in einen winzigen Lexikoneintrag hineinzwängen oder auf einer einzigen Kinderbuchseite darstellen und können deshalb unsere Supertiere etwas differenzierter betrachten. Schon früher haben wir ja gesehen, daß auch die Bärtierchen vergreisen  und daß gelegentlich  Körperbehinderungen  vorkommen. Zur Erinnerung an die existentiellen Grenzen der Bärtierchen werfen wir zunächst noch einmal einen Blick auf den ledrigen Rückenpanzer eines greisen Münchner Isar-Bärtierchens mit seinen typischen, roten Altersflecken:


[ Rückenpanzer eines greisen Bärtierchens ]

Abb.: Detail vom Rückenpanzer eines greisen Bärtierchens, mit roten Altersflecken.
Hohe Vergrößerung, Bildbreite ca. 40 µm.

Wenn wir große Bärtierchen-Populationen unter dem Mikroskop betrachten, finden wir regelmäßig einen kleinen Prozentsatz an gerade verstorbenen Tieren. Nach dem Studium der Fachliteratur könnte man vermuten, daß ein Großteil der Bärtierchen von anderen Lebewesen attackiert und gefressen wird. Dies passiert aber in Wirklichkeit nur sehr, sehr selten. Vielmehr naht, genau wie bei den Menschen, der Tod in der Regel schleichend:
Die greisen Bärtierchen bewegen sich zunehmend langsamer.
Sie erreichen ihre Nahrungsquellen später und mühevoller. Deshalb dauert es länger, bis ihr Magen sich mit dem lebensnotwendigen, grünen Pflanzensaft füllt. Nach dem Austrocknen und Wiederbefeuchten fällt ihnen das Wachwerden schwerer als den jüngeren Artgenossen.
Zuletzt hält das Bärtierchen einfach in seiner Bewegung inne, manchmal zuckt es noch ein wenig mit den Muskeln und scheint dann leise im Wasser einzuschlafen.
Die Unterschiede zur  Trockenstarre  und  Asphyxie  sind klar erkennbar. Bei den roten Echiniscen zum Beispiel verblaßt die rote Farbe und weicht einem bräunlichen Grünton. Im Körperinneren finden sich bald nach dem Tod dunkle, unregelmäßig verteilte Flecken.


[ Totes Bärtierchen ]

Abb.: Totes Bärtierchen. Körperlänge ca. 250 µm.

Bei stärkeren Vergrößerungen äußert sich das schwindende Leben durch Effekte, welche den Biologen aus Dauerpräparaten bekannt sind. Vormals funktionstüchtiges Gewebe verändert seine Struktur und verklumpt.


[ Totes Bärtierchen, Detail ]

Abb.: Rechtes Hinterbein des toten Bärtierchens mit verklumpter Krallendrüse.

Das morphologische und chemische Wunderwerk des Bärtierchen-Körpers verliert seine geordnete Struktur und wirkt zunehmend ungeordnet. Die Umrisse der inneren Organe, wie z.B. des Magen-Darmtraktes verschwinden allmählich.


[ Totes Bärtierchen, Rumpf ]

Abb.: Rumpf des toten Bärtierchens.

Verbliebener Kaumagen und rechtes Auge (siehe unten) lassen allerdings keinen Zweifel daran, daß hier ein Bärtierchen gestorben ist und sich nicht etwa gehäutet hat - dann nämlich wäre das Innere der Cuticula klar, vollständig leer bzw. nur mit Eiern gefüllt.


[ Totes Bärtierchens, Kopfbereich. ]

Abb.: Kopfbereich des toten Bärtierchens.

Die äußere Körperhülle, insbesondere die Rückenpanzerung behält ihre Struktur am längsten:


[ Totes Bärtierchens, Rückenpanzer. ]

Abb.: Rückenpanzer des toten Bärtierchens.

Wenn wir Menschen in einen Himmel zu kommen hoffen, hätten dann nicht auch alle anderen Lebewesen, auch unser harmloser, verstorbener Bärtierchen-Vegetarier einen moralisch begründeten Anspruch anzumelden ?
Und das ist, obwohl wir hier im Journal normalerweise einen recht lockeren Stil pflegen, übrigens ausnahmsweise mal nicht witzig gemeint.


[ Totes Bärtierchen ]

Abb.: Totes Bärtierchen. Mischlichtaufnahme.


Weiterführende Literatur

Walter Neubert: Geburt, Leben und Tod eines Rädertierchens. Mikrokosmos 83 (1994) S. 17 - 30.



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© Text und Fotos von  Martin Mach