Das Bärtierchen-Journal
[Titelfragment 1.1] [Titelfragment 1.2] Titelfragment 1.3]
[Titelfragment 2.1] [Titelfragment 2.2] [Titelfragment 2.3]
[Titelfragment 3.1] [Titelfragment 3.2] [Titelfragment 3.3]



Maritime Bärtierchen (VI) - nochmal Batillipesfuß

Lange haben wir Euch warten lassen. Jetzt wird es Zeit, ein Video zu präsentieren, welches eines unserer maritimen  Batillipes -Bärtierchen aus dem Fensterbrett-Meerwasseraquarium in voller Bewegung zeigt, inklusive der, selbst für Bärtierchenverhältnisse verblüffend schnellen und komplizierten Bewegungen. Batillipes zählt zu den flinksten Tardigraden und liegt in etwa gleich auf mit dem Beute jagenden Milnesium tardigradum. Bärtierchenforscher Ernst Marcus gibt für Batillipes-Arten eine Geschwindigkeit von 100 µm pro Sekunde an.

Obwohl mit nur etwa 0,1 mm Körperlänge ein Nanowunder, offenbart Batillipes im unten gezeigten Film eine komplizierte Interaktion mit der Umgebung und vielleicht sogar ein wenig Nervosität. Außerdem erkennen wir einen faszinierenden Rückwärtsgang, der in dieser zäh-beharrlichen Eleganz bei  Homo sapiens  nur von gewissen Politikern beherrscht wird. Wie man ein so nervös-agiles Wesen offiziell zu den Tardigrada (d.h. wörtlich "Langsamschreitern") zählen kann, bleibt für uns Laien besonders rätselhaft und kann eigentlich nur dadurch gerechtfertigt werden, daß die Batillipes-Arten erst lange nach der Einführung der Stammesbezeichnung "Tardigrada", nämlich im 20. Jahrhundert entdeckt wurden (Film: ca. 2,5 MB).


html5 player by EasyHtml5Video.com v3.5


Dieser Film war übrigens nicht einfach aufzunehmen. Zunächst einmal, weil die Bärtierchen sich nicht aus den Petrischalen abpipettieren lassen - sie halten sich ganz einfach mit ihren vielen Füßen und Zehen zäh am Glasboden fest. Erschwerend kommt hinzu, daß die Batillipes-Arten, wie schon in der vorigen Ausgabe unseres Journals erwähnt, außerhalb ihrer Sandkornwelt zum Verkleben neigen. Sie müllen sich dann mit kleinen Detrituspartikelchen regelrecht zu und können sich aus eigener Kraft nicht mehr befreien, d.h. sie bewegen sich nur noch langsam und sind zunehmend schwer zu erkennen.

Es mag im Internet mittlerweile einige Bärtierchenclips geben. Batillipes-Videos werden jedoch aus den genannten Gründen wohl noch einige Zeit rar bleiben. Selbst das Fernsehen hat mit seinen Wissenschaftssendungen den Anschluß noch nicht gefunden, obwohl man meinen sollten, daß es dort üppige Produktionsetats geben dürfte. Aber vielleicht verklebt unser Fernsehen ja auch selbst in seinen vielen Casting-Shows ;-)

Um die Klebstoffthematik bei den Bärtierchen noch besser zu veranschaulichen, gehen wir mal ausnahmsweise deutlich über unser gewohntes Internet-Bildformat hinaus, dann kommen die mutmaßlichen Klebstoffäden so richtig deutlich zum Vorschein:


[ Batillipes Bärtierchen, Haftlappen ]

Batillipes sp.-Bärtierchen, mit fädigen Strukturen, welche von den einzelnen Haftlappen ausgehen. Die Fäden haben einen Durchmesser von nur etwa einem Tausendstel Millimeter (1 µm) und im vorliegenden Foto eine durchschnittliche Länge von 5 µm. Typischerweise ist ein Streifen pro Haftlappen erkennbar.


Ehrlich gesagt sind wir an dieser Stelle mit unserem Latein am Ende. Das Lichtmikroskop läßt die von Bärtierchenforscher Ernst Marcus schon 1929 postulierte Drüsenöffnung an den Zehen leider nicht mehr erkennen und auch in der modernen Fachliteratur haben wir keine weitergehenden Untersuchungen gefunden. Die Klebefadenstrukturen erinnern jedenfalls an einen Streifen Zahnpasta, der am Zehenstiftende (nach Art einer Klebstoffpistole) herausgepreßt wird. Die geradlinige Struktur legt weiterhin die Vermutung nahe, daß der Streifen im Wasser nicht sofort zerfließt. Vielleicht löst das Bärtierchen ja die Verbindung zum Untergrund durch Nachschieben von weiterem Klebstoff, nach dem Motto "Was interessiert mich mein Klebstoff von gestern? Ich befreie mich jetzt einfach durch noch mehr Klebstoff und gehe dann einfach weiter"?

Die Position der Streifen würde jedenfalls zu einer einzigen Öffnung am Zehenende passen. Von unserem Versuch im letzten Journal her können wir uns auch gut vorstellen, daß sich das Bärtierchen mit einem zu guten, dünnflüssigen, unter den Haftlappen flach verteilten Klebstoffilm selbst außer Gefecht setzen, d.h. unverrückbar fest am Sandkorn fixieren würde. Insofern könnte ein nur punktuell wirkender, sicherlich nicht allzu fest bindender Kleber die Lösung sein.
Tja, zugegeben, alles Spekulation. Vielleicht haben unsere Leserinnen und Leser aus dem Fachpublikum eine bessere Idee. Mailen Sie uns ganz einfach, falls Sie mehr dazu wissen oder eigene Ideen haben! Sind die vermeintlichen Klebstoffspuren vielleicht atypisch, womöglich nur ein Artefakt? Sie sehen schon, es ist gar nicht so einfach.


Hauptseite



© Text und Fotos von  Martin Mach