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Das chinesische TWX-1 Kompaktmikroskop (III)

Genau wie die Hobbyphotographen laufen auch wir Hobbymikroskopiker Gefahr, vor lauter Begeisterung für die Finessen der Instrumente unsere eigentliche Aufgabe, eben das photographische oder mikroskopische Beobachten und Dokumentieren, zu vergessen. So beklagt der Diatomeenspezialist Frank Eric Round in seiner Diatomeenbibel, die Forscher seien vor lauter Begeisterung über die Feinstruktur der Diatomeenschalen (und deren instrumentelle Visualisierung) bedauerlicherweise derart gefesselt gewesen, daß andere, nicht minder wichtige Diatomeen-Arbeitsgebiete zeitweise erheblich gelitten hätten.
Trotz dieser geistig-diätetischen Einschränkung wollen wir hier ein Test-Diatomeenpräparat einsetzen, um die optische Leistungsfähigkeit des chinesischen TWX-1 Mikroskopes zu demonstrieren. Auf diese Weise soll auch mit dem reichlich provinziellen Vorurteil aufgeräumt werden, aus China käme nur Schund, und der sei dann auch noch kopiert. Aber damit genug der Vulgärpolitik und der Vulgärpsychologie, werfen wir einen Blick auf das verwendete Testpräparat:


[ Diatomeentestpräparat ]

Mikroskopische Übersichtsaufnahme eines käuflichen Diatomeen-Präparates - Hersteller Klaus Kemp; bitte selbst im Internet nachsuchen und nicht bei uns fragen - mit den folgenden Testdiatomeenschalen:

1 - Gyrosigma balticum
2 - Navicula lyra
3 - Stauroneis phoenicenteron
4 - Nitschia sigmoidea
5 - Surirella gemma
6 - Pleurosigma angulatum
7 - Frustulia rhomboides
8 - Amphipleura pellucida

Achtung: Die in den Tests geforderten Feinstruktur-Details (Querstreifungen und Punktierungen) sind in der Übersichtsaufnahme nicht erkennbar.


Um Ihnen eine Vorstellung von den Größenverhältnissen zu geben, zeigen wir das Testpräparat zunächst in moderater Detailansicht, mit der vollen Breite des Objektträgers, und dann, weiter unten, im ausgereizten Makromodus einer guten Digitalkamera:


[ Diatomeentestpräparat ]

Objektträger mit dem oben dargestellten Diatomeentestpräparat. Der dicke, schwarze Lackring hat einen Außendurchmesser von 1,1 cm, die innere Doppelringmarkierung von 0,3 cm. Von den eigentlichen Testdiatomeen ist - wie Sie zugeben werden - leider rein gar nichts zu sehen. Aufnahme mit einer Nikon Coolpix 995 Kamera, deren spektakuläre Makrofunktion unter den kompakten Digitalkameras unserer Ansicht nach bis heute unübertroffen ist.


[ Diatomeentestpräparat ]

Noch ein wenig näher ran, bis zum Anschlag, hinein in den Digitalzoom, wieder mit der Coolpix. Die Diatomeen werden jetzt, wenn auch sehr schwach, sichtbar. An diesem Bildbeispiel wird die Grenzlinie zwischen ambitionierter Makrophotographie und dem, noch deutlich schwierigeren, Bereich der Mikrophotographie erkennbar.


Daß es nicht an der Coolpix, sondern am Testpräparat liegt, sei anhand folgender Coolpix-Makroaufnahme einer Kugelschreiberspitze demonstriert, die unter ähnlichen Bedingungen wie das Diatomeenpräparat oben aufgenommen wurde:


[ Makro eines einfacheren Objektes ]

Viel einfacher zu bewerkstelligen: Klassische Makroaufnahme einer Kugelschreiberspitze - mit blauer Tintenkugel. Kamera: Nikon Coolpix 995.


Unter dem Mikroskop, egal welchem Mikroskop, offenbart das Testpräparat schließlich sein volles Frustrationspotential, nicht nur für Anfänger:

(1) Die feine Querstreifung der hauchzarten Amphipleura pellucida [8] steht an der Spitze der Gemeinheiten. Sie wird im Weißlicht, wenn überhaupt, nur mittels Ölimmersionsobjektiv und schräger Beleuchtung wahrnehmbar.

(2) Die Felderung der Pleurosigma angulatum [6] wird gerne eingesetzt, um Anfängern die auflösungsvernichtende Wirkung einer zu weit geschlossenen Kondensorblende am 45x/0,65 Objektiv eines Kursmikroskopes zu veranschaulichen.

(3) Die verhältnismäßig grobe Streifung der Navicula lyra [2] ist der Schrecken aller 10fach Objektive, wird von diesen meist gerade nicht mehr aufgelöst. Nach unseren Erfahrung funktioniert es erst ab einer Numerischen Apertur von 0,3 (und deshalb, wie wir uns überzeugt haben, tatsächlich nicht mehr mit der NA 0,25 des TWX-1 10er Objektivs).



Die Objektive des TWX-1 sind winzig und stehen dicht nebeneinander:


[ TWX-1 Objektivrevolver ]

Der sehr kleine Objektivrevolver des TWX-1 Mikroskopes. Trotz des kompakten Aufbaus haben die Ingenieure sogar noch eine - hier nicht sichtbare - Innenrastung untergebracht.


[ TWX-1 Objektivrevolver ]

Die Messing-Objektivgewinde am Objektivrevolver des TWX-1 Mikroskopes


[ TWX-1 Objektive ]

Die drei TWX-1 Objektive im Größenvergleich mit einem Standardobjektiv aus westlicher Fertigung. Nota bene: Feine Messinggewinde an den chinesischen Objektiven.


[ TWX-1 Objektive ]

Quasi bis zum Hals voll gefüllt mit Glas: das 10er Objektiv. Außerdem zu sehen: abschraubbare Hülse des 45er Objektivs.


Mit dem 45er Objektiv wird die Felderung von Pleurosigma angulatum aufgelöst, womit für dieses Objektiv, trotz der relativ bescheidenen Numerischen Apertur von 0,63 und trotz der Winzigkeit die Gleichwertigkeit mit einem klassischen 45x/0,65 Objektiv plausibel gemacht wäre.


[ TWX-1 Pleurosigma-Test ]

Das 45x Objektiv des TWX-1 löst die Felderung von Pleurosigma angulatum problemlos auf. Foto mit CP-Adapter vom indischen Ebay-Händler und Nikon Coolpix 995.


Das 10er Objektiv des TWX-1: die Auflösung ist sehr gut, es zeigt jedoch eine deutliche Bildfeldwölbung. Diese Wölbung können wir allerdings gut in Kauf nehmen, weil wohl niemand von uns unbedingt unterwegs Ultradünnschnitte durchmustern wird. Die Bärtierchen sind sowieso alles andere als plan und als faire Mikroskopiker quetschen wir sie natürlich auch nicht! Als Beleg für die praktische Verwendbarkeit des 10x Objektivs mag folgende Aufnahme (Kamera auf Okular und "knips") eines Diatomeen-Kreispräparates dienen:


[ TWX-1 Pleurosigma-Test ]

Diatomeen-Kreispräparat, mit dem 10x Objektiv des TWX-1 photographiert.
Kreisdurchmesser ca. 0,8 mm. Zum Vergleich: das volle Gesichtsfeld des TWX-1 bei den genannten Bedingungen (10er Objektiv und 10er Okular) mißt 1,4 mm im Durchmesser. Freunde der mikroskopischen Randunschärfenforschung bleiben deshalb hier außen vor.


Es fehlt noch eine Beurteilung des TWX-1 90er Objektivs anhand der schwierigen Testdiatomee Amphipleura pellucida. Dies holen wir im nächsten Journal nach. Damit es nicht zu einfach wird, haben wir mit dem normalen, ungefilterten TerraLux-LED-Weißlicht, ohne Kondensorimmersion und mit der mittlerweile doch recht betagten Coolpix 995 gearbeitet.



Last but not least freuen wir uns, eine kleine Bärtierchenmikroskopie-Sensation ankündigen zu können: Wir erproben derzeit einen neuen Tardigradensensor bzw. Kleinstbärendetektor.
Bisher war es praktisch unmöglich, bei Exkursionen die trockenen Moosproben vorab auf ihre Bärtierchen-Bewohnerdichte zu überprüfen. Statt dessen mußten wir, wie allseits bekannt und auch in der Fachliteratur als einzige Methode zementiert, recht umständlich eine kleine Moosprobe mitnehmen, zuhause stundenlang wässern und dann im Stereomikroskop durchmustern. Nach der zeitraubenden Prozedur des Wässerns zeigte sich dann in vielen Fällen, daß in dem betreffenden Moos nur sehr wenige oder gar keine Bärtierchen enthalten waren!

Es wäre nun natürlich viel einfacher, wenn wir dank eines - möglichst kleinen - Hilfsmittels gleich vor Ort feststellen könnten, ob in einer bestimmten Probe eher viele oder eher wenige Bärtierchen zu finden sein könnten - wohlgemerkt im unbewegten Trockenzustand. Die Aufgabenstellung ist extrem schwierig, weil die meisten Tönnchen nur ca. 0,1 mm lang sind und visuell, als recht unscheinbare, blasse Häutchen, gelinde gesagt optisch nicht allzu viel hergeben.

Unser Entwicklungsteam fand, nach langem Suchen, jedoch mittlerweile eine Methode, die gezielt eine spezifische, physikalische Eigenschaft der Tönnchen nutzt und visualisiert. Und siehe da, es funktioniert! Wir können jetzt unterwegs unsere Lieblings-Bärtierchen, die Echiniscen, dank eines kleinen Tricks auch unter schwierigen Expeditionsbedingungen direkt auf den Moosproben detektieren - und, das ist Ehrensache, ohne ihnen Schaden zuzufügen.

Die Aufklärung folgt in einer der nächsten Ausgaben - auch das Bärtierchen-Journal nutzt gelegentlich die Grundregeln des klassischen Fortsetzungsromans.



Literatur

Frank Eric Round et al.: the diatoms. Biology & morphology of the genera. Cambridge University Press 1990.
[Anmerkung: verzichten Sie einfach auf ein oder zwei Skandinavien-geschiedener-Kommissar-mit Alkoholproblem-Krimis oder ähnlich Seichtes und leisten Sie sich statt dessen dieses reich illustrierte, naturgemäß nicht ganz so leicht lesbare Buch!]


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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach