Lupen für Fortgeschrittene (XVIII) |
Abb. 1: Die sogenannte Nimrud-Linse im British Museum. Sie stammt
aus dem antiken Nimrud (heute im Irak gelegen), wurde im Jahr 1850 von Austen Henry Layard ausgegraben
und besteht aus Quarz.
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(2) Die universitäre Lehrmeinung, von Wolfgang Gloede
auf ca. zwei Textseiten wunderschön knapp zusammengefasst, sieht dies jedoch
völlig anders: |
Richard Greef, 1921, zitiert nach [Gloede 1986] |
Sogar in der Neuzeit scheinen Lupen im (eigentlich naheliegenden) Werkstatt-Kontext keineswegs üblich gewesen zu sein. Die folgenden Abb. 2 und 3 erlauben eine Rückblende in die renaissancezeitliche Werkstatt von Étienne Delaune, einem berühmten französischen Goldschmied und Medailleur. Zwar trägt der mutmaßliche Meister bereits eine - zu dieser Zeit in besseren Kreisen bereits übliche - altersgerechte Brille, von etwaigen optischen Arbeitshilfen ist jedoch ansonsten nichts zu sehen. |
Abb. 2: Arbeitssituation im Atelier
des französischen Goldschmieds Étienne Delaune.
Historische Reproduktion eines im Louvre aufbewahrten Stichs von 1576.
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Abb. 3: Detailausschnitt von Abb. 2. Obwohl hier anscheinend feine Goldschmiedearbeiten ausgeführt werden, kommen die jüngeren Mitarbeiter augenscheinlich ohne optische Hilfsmittel aus. Lediglich der ältere trägt eine Brille, vermutlich eine zeittypische Fadenbrille. Deren namensgebende Fäden sind leider nur auf einigen wenigen, im Internet gezeigten Direktkopien vom Original-Stich erahnbar. Ohne Anbindung würde eine Brille mit geradem Mittelsteg einfach herunterfallen! |
Wir möchten nun jedoch zeitreisend-objektdatierend von der jüngeren Gegenwart ausgehen, anschließend allmählich bis in die antike Vergangenheit und die dortige Arbeitssituation des Metallhandwerkers zurückwandern. Beginnen wollen wir mit einem vergleichsweise modernen Konstrukt, nämlich der Einschlaglupe. Deren älteste Repräsentanten lassen sich ohne besondere Schwierigkeiten datieren. Die folgend abgebildeten zwei Exemplare erscheinen gut geeignet, um stellvertretend die charakteristischen Eigenschaften der frühesten Einschlaglupen zu illustrieren: |
Abb. 4: Sehr alte Einschlaglupe
aus Horn. Gehäuselänge (geschlossen) 9,5 cm, Gewicht 38,1 g.
Deutlich konvex gewölbte Griffschalen. Vernietung aus Eisen.
Gut farbneutrales, jedoch bereits mit bloßem Auge erkennbar
blasenhaltiges Glas, die Linsenränder verhältnismäßig grob
zugeschliffen. Brechwert 5,7 Dioptrien (einen ca. 1,5 fachen Vergrößerungseindruck liefernd).
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Abb. 5: Sehr alte, ovale Einschlaglupe
aus Horn. Gehäuselänge (geschlossen) 7,9 cm, Gewicht 78,0 g.
Deutlich konvex gewölbte Griffschalen. Vernietung mit Messinghülsen
und zentralen Eisenstiften. Linsenfassung mit Resten von augenscheinlich originaler,
dunkelgrüner (!) Farbgebung. Gut farbneutrales, jedoch augenscheinlich
blasenhaltiges Glas, die Linsenränder verhältnismäßig grob
zugeschliffen. Brechwert 3,7 Dioptrien (einem ca. 1,25 fachen Vergrößerungseindruck entsprechend).
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Abb. 6: Vernietung der ovalen Lupe in der Makro-Ansicht. Durchmesser ca. 5 mm. |
Interessanterweise sind die Luftblasen in altem Glas nicht immer streng kugelförmig, so wie man es von mikroskopischen Wasserproben her kennt. Statt dessen verraten sie hier durch eher eiförmige Gestalt einen hitzigen Entstehungsprozess in viskoserem Medium: |
Abb. 7: Typische verzerrte Luftblase im Glas der ovalen Lupe (Abb. 5). Maximale Länge ca. 0,2 mm - mit bloßem Auge sichtbar. |
Hingewiesen sei noch auf die Möglichkeit, die Oberfläche von gealtertem, um nicht zu sagen: geschundenem Glas unter dem Mikroskop zu studieren: |
Abb. 8: Herstellungs- und altersbedingte
Veränderungen der Glasoberfläche der ovalen Einschlaglupe
(Abb. 5). Neben der relativ ebenen, polierten Oberfäche
sind weite Bereiche mit tieferliegender Lochfraßkorrosion sowie mutmaßlicher
Rekristallisation zu erkennen.
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Zur Entstehungszeit dieser frühen Einschlaglupen
herrschte bereits eine beträchtliche Produktvielfalt. Auch können die
gezeigten Geräte in sehr unterschiedlicher Funktion, zum Beispiel
im Handel, im Handwerk oder auch einfach als preiswerter Brillenersatz zum
Einsatz gekommen sein. In naturgemäß sehr viel geringerer Stückzahl
entstanden parallel auch edlere, aufwändig geschmückte Exemplare,
die typischerweise jedoch etwas jüngeren Datums sind. |
In den nächsten Journalen werden wir ein sehr frühes Exemplar einer Stiellupe betrachten (Mai 2023) und dann im Juni mittels praktischem Experiment der Frage nachgehen, ob und wie ein antiker Medailleur seine Arbeit auch ohne Lupen ausgeführt haben könnte. |
Literatur
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© Text, Fotos und Filme von Martin Mach |