Mikroskop-Oldtimer und das fotografische Universalheilmittel M42 (IV)
Wir schwelgen hier noch ein wenig in scheinbar technikverliebten Betrachtungen - aber keine Sorge, bald werden die Bärtierchen
wieder zu ihrem Recht kommen. Streng genommen handelt es sich bei dem jetzt Folgenden ohnehin eher um einen Anti-Technik-Beitrag.
Statistisch betrachtet wird der durchschnittliche Mikroskopiker immer älter.
Er (ja, er, in 90 von 100 Fällen ist es nämlich ein Mann) konnte sich als Kind
kein teures Mikroskop leisten, hat aber jetzt typischerweise ausreichend Geld für
sein Hobby zur Verfügung. Hinzu kommt, dass geeignete Mikroskope
immer billiger angeboten werden, manchmal zum Spottpreis. Und sie müssen
deshalb keineswegs schlecht sein. Nach der traurigen Kindheits-Konsumbeschränkung
erscheint es nur allzu verständlich, wenn die älteren Mikrokopiker ihre Geräte
jetzt mit den teuersten Apo-Optiken ausstatten und etwaige noch verbleibende Farbfehler oder
Randunschärfen mit der ernsten Strenge des religiösen Fanatikers diskutieren.
Die meisten älteren Amateure begannen ihr Hobby mit einem monokularen Mikroskop
und hatten über die folgenden Jahre hinweg ausreichend Zeit, sich an die
einäugige Lebensweise zu gewöhnen. Es war so wie beim Schwarzweiss-Fernsehen:
Das Hirn substituierte die fehlenden sensorischen Informationen. Die monokulare Welt
erschien somit in sich geschlossen und völlig in Ordnung. Man(n) war zufrieden.
Mann ahnte allerdings, schon auf der Basis der KOSMOS-Prospekte mit ihren 2000 DM-Mikroskopen,
dass es jenseits des Monokularen noch eine weitere, räumlichere Welt, eben die binokulare,
geben müsse. Zugang hatten jedoch offensichtlich nur auserwählte Lichtgestalten
wie gymnasiale Biologielehrer und Anatomieprofessoren. Irgendwann kam er dann jedoch, der Tag der binokularen
Versuchung und Erleuchtung. Sei es am Arbeitsplatz, in einer Laborumgebung oder
beim etwas geldigeren Hobbykumpanen. Und, hatte man erst einmal durch das wunderbare
Prismenkonstrukt geblickt, gab es kein Zurück mehr: Die monokulare Gemeinschaft hatte
eines ihrer Mitglieder verloren.
Andererseits kann es recht entspannend und amüsant sein, sich an die vordem
praktizierte Minimalistik und deren Vorteile zu erinnern. Bei einem monokularen Einblick
gibt es kein Kopfzerbrechen bezüglich der korrekten Dioptrieneinstellung,
wenn man mal zwischendurch ein Familienmitglied durchs Mikroskop schauen lassen will.
Beim Monokular muss ja lediglich ein wenig nachfokussiert werden. Und es gibt
jede Menge Menschen, die am binokularen Einblick schon aus physiologischen Gründen scheitern
(manchmal aber auch daran, dass das Mikroskop eben auf die Augen des Hauptnutzers eingestellt ist).
Bei älteren, in typisch teutonischen Schrankwand-Wohnzimmern unter krautdünstender
Atmosphäre gelagerten Mikroskopen zeigen sich auch noch andere Nachteile des Binokulartubus:
Statt vorher einer befinden sich nun plötzlich zwei furchtbar staubanfällige
Okular-Feldlinsen im Strahlengang. Allgegenwärtiger Feinstaub dringt über die Jahre
hinweg durch die Ritzen in das Innere des Binokulartubus. Nach dem hundertsten
dampfigen Wohnzimmeressen in zeitgemäß perfekt abgedichteten Räumen
macht sich schließlich der Glaspilz breit und es folgt der Moment, in dem man sich mit Wehmut an die
wunderbare Helligkeit, Sauberkeit und Klarheit des Monokulartubus erinnert.
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