Lupen für Fortgeschrittene (XXII)
Verschwommene Historie - über die Anfänge des Lupen-Vergrößerns
Hier: Eine Harmonisierung des "Antike Lupen"-Disputs
"Verwendeten antike Medailleure/Kunsthandwerker/Inspekteure Lupen?"
Dem Bestseller-Autor Robert Temple gebührt das Verdienst, die sogenannte
Nimrud-Linse (auch Layard-Linse)
einem breiten Publikum vor Augen geführt zu haben. In seinem respektabel bauchigen Werk
dient sie als exemplarischer Beleg, dass der Einsatz von Glaslinsen (auch Edelsteinlinsen)
als Lesehilfe und Werkzeug, ja sogar zur Sehfehlerkorrektur, in der Antike nicht ernsthaft anzuzweifeln sei.
Mit einem sanften Augenzwinkern sei hinzugefügt, dass Robert Temple seine Sichtweise
mit Feuer und Flamme vertritt, wobei besonders missliebige Andersdenkende gnadenlos attackiert,
ja sogar ausdrücklich bis auf Däniken-Niveau herabgewürdigt werden.
Und zweifellos hat Robert Temple recht mit seiner Behauptung, dass sich in den
unzähligen Museen der Welt bislang viele Hunderte, ja möglicherweise Tausende
Linsen der wissenschaftlichen Bearbeitung entziehen. Während nun allerdings Robert Temple
in praktisch all diesen Fällen optische Hilfsmittel vermutet, ignorieren
nüchtern argumentierende Museumskuratoren die vielen Linsen oder klassifizieren
sie allesamt - in absolut spaßbremsender Manier - als einfache Ornamente,
Glasaugen von Skulpturen, glücksspendende Anhänger und Ähnliches.
Anmerkung am Rande: Wie so oft, wenn gegensätzliche Meinungen aufeinander
prallen, versteigen sich die jeweiligen Protagonisten (und keineswegs nur Robert Temple) in
teils extreme, bizarre Argumentationen. Einige von diesen seien hier aufgeführt,
nicht wegen ihrer Stichhhaltigkeit, sondern wegen ihres Unterhaltungswerts:
Irrlichternde Autoren propagieren beispielsweise, dass auch Glaslinsen mit einem
Mittelloch als Lupen genutzt worden sein könnten: Man hätte sie so besser
transportieren können, ja sogar durch das Mittelloch hindurch feine Arbeiten
ausführen können!
An anderer Stelle findet sich die Meinung, dass man nur deshalb weltweit relativ
wenige antike Linsen gefunden hätte, weil diese enorm kostbar gewesen seien, deshalb
immer vom Vater zum Sohne weitergereicht wurden. Dies erinnert unweigerlich an
die zunehmend verzweifelte Werbung für überteuerte, mechanische Armbanduhren:
"Eine Uhr der (Nobel-)Marke X kauft man nicht für sich selbst, sondern
bereits im Gedenken an kommende Generationen!"
Andererseits erscheint es in der Tat erstaunlich, dass man in den antiken Hochkulturen
die potentiell vergrößernde Wirkung von transparenten Materialien
mit kugelig gekrümmter Oberfläche nicht in vollem Umfang erkannt haben sollte.
Zweifelsfrei belegt zu sein scheint immerhin die Existenz wassergefüllter Glaskugeln
(später als "Schusterkugeln" bezeichnet), für die tatsächlich
bereits in der Antike ein Vergrößerungseffekt berichtet wurde.
Auch in der Antike sollte jedermann in der Lage gewesen sein, die vergrößernde Wirkung eines simplen Wassertropfens zu erkennen und
entsprechende Schlussfolgerungen im Hinblick auf eine Umsetzung in Glas zu ziehen:
|