Das Bärtierchen-Journal
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Maritime Bärtierchen (II)

"Suchen und Finden" ist, wie bereits im letzten Journal erklärt, ein zentrales Thema bei den maritimen Tardigraden. Was wir suchen, wissen wir schon.
Wo wir es suchen auch: an allen Meeresrändern. Bleibt nur noch das "wie?".

Wir erlauben uns einen kleinen kulturhistorischen Ausflug nach Alteuropa,
der belegen soll, daß die Aufgabenstellung im Grunde genommen keineswegs neu ist und - wie seit langem bekannt - gewisser Vorüberlegungen bedarf:


[ Optik und Weltkulturerbe ]

Lohnende Objekte? Wo finden? Wie betrachten?
Wie problematisch auch der nur vermutete, fehlerhafte Einsatz optischer Hilfsmittel sogar nach Jahrtausenden noch erscheinen kann, illustriert dieser Stich aus dem 18. Jahrhundert.

Bevor Sie nun flott den Kescher einpacken und ans Meer fahren um dort die attraktiven maritimen Tardigraden zu inspizieren, sollten Sie vielleicht vorsichtshalber doch noch ein klein wenig in der Fachliteratur recherchieren. Wir hatten ja bereits im letzten Journal gesehen, daß Professor Felix Dujardin wohl lediglich ein einziges Exemplar seiner  Microlyda  gefunden hatte und auch Professor Ferdinand Richters in seinen Proben wochenlang nach den erhofften Belegexemplaren von  Batillipes mirus  suchen mußte.

Als Spätergeborene können wir auf vielfältige Fundberichte in der Fachliteratur zurückgreifen und auf diese Weise unsere Fundchancen besser abschätzen.

Hartmut Greven zitiert in seiner informativen Bärtierchenmonographie eine Arbeit von Schmidt (1969), der am Strand der Insel Sylt Batillipes-Bärtierchen sammelte und dort in Tiefen zwischen 10 cm und 50 cm Individuenzahlen von höchstens 300 pro 50 cm3 Sand registrierte. Das ergibt maximal  sechs Tardigraden pro Kubikzentimeter Sand - nicht gerade viel.

Claude Delamare Deboutteville, den wir hier schon alleine wegen seines klangvollen Namens gerne zitieren, erwähnt in seinem 740 Seiten-Prachtwerk zur unterirdischen Wasserfauna eine Arbeit von Pennak (1939), der in 10 cm3 Meersand, 150 cm von der Wasserlinie entfernt, folgende Individuenzahlen fand:


Gattung

Individuenzahl

Bakterien

4.000.000

Protozoen

400

Copepoden

40

Tardigraden

20


Somit fing Pennak im zitierten Fall lediglich zwei Tardigraden pro cm3 Sand.

Susanna de Zio (1966) berichtet von adriatischen Tardigradenausbeuten in Höhe von maximal 161 Individuen auf jeweils 3 cm3 Sand, bei typischen Durchschnittswerten zwischen Null und 30, was wiederum typische Zahlen von maximal 10 pro Kubikzentimeter Sand ergäbe.

Geben wir uns keinen Illusionen hin: Wenn wir pro Petrischalenbefüllung via Stereomikroskop z.B. 0,3 g Sand durchmustern können, dürfen wir darin realistischerweise nur einen oder einige wenige Tardigraden erwarten. Wohl deshalb gibt es auch so furchtbar viele Anreicherungstips in der Literatur.
An Sand hingegen mangelt es meist nicht:


[ Strand an der franösischen Atlantikküste ]

Strand an der französischen Atlantikküste, nördlich von Royan, mit vieeeelen Bärtierchen.

OK, wir haben an einigen Stränden gegraben. Das schaute dann in etwa so aus:


[ Bärtierchengrabung an der französischen Atlantikküste ]

Bärtierchengrabung an der französischen Atlantikküste, etwas südlich von Royan.
Links im Bild: ein zahnputzbechergroßes Sammelgefäß aus Kunststoff (verlieren Sie bitte kein Glasgerät an Badestränden!)

Nicht zuletzt haben wir auch mit Bottich-Handpumpen vom Typ "Benzinklau" Wasser abgepumpt, fleißig filtriert, gesiebt, geschlämmt, dekantiert, mit schmelzendem Meereis durch Osmoseschock ausgetrieben - zunächst alles vergebens. Heute neigen wir dazu, für erste Tastversuche dem folgenden Sammelgefäß unbedingten Vorrang einzuräumen:


[ Die Filmdose - ein gut geeignetes Sammelgefäß für maritime Bärtierchen  ]

Das optimale Sammelgerät für maritime Bärtierchen: eine Filmdose aus der Analogzeit.

Die besten Ergebnisse hatten wir bei maximaler Ebbe, an der äußersten Sandoberfläche, ganz nahe zur Wasserlinie im gerade nicht mehr überfluteten Bereich (einfach nassen Sand einlöffeln, mit ein wenig Fundortwasser überschichten und zuklipsen).


Selbst bei Betrachtung mit 30facher Vergrößerung unter einem guten Stereomikroskop waren die so geschöpften Meerestardigraden immer noch sehr klein und dementsprechend schwer zu finden. Die folgende Abbildung verdeutlicht Bildeindruck und Größenverhältnisse:


[ Bärtierchengrabung an der französischen Atlantikküste ]

Die Mikrometerskala oben links im Bild ist 0,25 mm lang, das Bärtierchen deshalb deutlich kleiner als 0,1 mm!


Wie wir die Bärtierchen überhaupt bemerkt haben? In erster Linie an den sich wundersam bewegenden Sandkörnchen:

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Keine Sorge, in den nächsten Ausgaben folgen deutlich bessere Filme. Dieser erste sollte nur zeigen, wie schwierig es ist, unter dem Stereomikroskop überhaupt etwas zu finden.



Literatur

Hartmut Greven: Die Bärtierchen. S. 65. Wittenberg Lutherstadt 1980.

Claude Delamare Deboutteville: Biologie des eaux souterraines littorales et continentales. S. 86. Paris 1960.

Susanna de Zio und Piero Grimaldi: Ecological Aspects of Tardigrada Distribution in South Adriatic Beaches. Veröffentlichungen des Instituts für Meeresforschung in Bremerhaven. Sonderband II (1966) S. 87-94.


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© Text und Fotos von  Martin Mach