Bey der Wiederbelebung mit destilliertem oder reinem Regenwasser erwachen nicht
alle. Oft bleyben sie todt, besonders wenn sie einzeln auf dem Glase
eingetrocknet waren; doch habe ich auch solche vollkommen lebendig
werden und Eyer legen gesehen, aus denen binnen 3 Wochen die jungen Thiere
auskrochen.
Das Thier gehört zu den Crustaceen und dürfte etwa folgendermaßen
characterisiert werden:
Macrobiotus: Corpus elongatum, depresso cylindricum, in decem segmenta
distinctum. Pedes octo, alternis segmentis a quarto ad decimum affixi.
Caput antennis destitutum, oculi duo.
M. Hufelandii: Corpore minimo 1/24'''- 1/3''' longo, flavo cinereo,
pedibus quadrangulatis.
Für diejenigen Herren, welche sich von der Wiederbelebungsfähigkeit
dieses Thiers , so wie des Vibrio und der Furcularia überzeugen wollen,
lege ich ein Päckchen Sand und Conserven, die seit dem 2. May 1829 trocken
aufbewahrt sind, bey. Eine Menge der dunkelgrünen Masse, etwa zwey
Nadelköpfe groß, wird in einen Tropfen destilliertes Wasser
unter dem Microscop gebracht; es lassen sich dann die allmählich
eintretenden Gestaltsänderungen bis zum Fortkriechen oder Schwimmen
leicht beobachten."
Anm. d. Verf.: Wen wundert es, daß einige etablierte Kollegen diese flotte
Vorführung ein wenig argwöhnisch verfolgten und dem Hofrat Schulze
noch im selben Heft der Isis von Oken einen Dämpfer zu
verpassen suchten. Klar, daß die Erwiderung im Umfang deshalb ein klein
wenig größer ausfiel als der auslösende Original-Artikel.
Wir lesen weiter:
Ref. erlaubt sich aus einem Schreiben des Hrn. Prof. Ehrenberg folgende sehr
interessante und auf obigen Aufsatz bezügliche Notizen mitzutheilen:
"Prof. Retzius aus Stockholm brachte mir aus Breslau etwas von dem
Dachrinnensande, welchen Herr Professor Schultze aus Greifswalde bey der
Versammlung der Naturforscher vorgezeigt hatte, weil sich darin das
Phänomen der Wiederbelebung lane Zeit vertrockneter Räderthiere
beobachten lasse. Eines der seit drey Jahren darin befindlichen,
durch Wasser wieder zu belebendes Thier nennt Herr Prof. Schultze
Furcularia rediviva, das andere Macrobiotus Hufelandii und sieht sie als zwey
bisher unbekannte Thiere an. Das Factum, wie es von Herrn Prof. Schultze
dargestellt worden, ist, obwohl an sich sehr alt, für mich neu, und
gewiß noch weiterer Prüfung und des Dankes aller Foscher werth,
die beyden Thierformen waren aber für mich nicht neu. Die Furcaria
rediviva genannte Form besteht ganz deutlich aus zwey Arten meiner Gattung
Philodina; es sind nehmlich Philodina erythrophthalma, die ich in meiner
ersten Abhandlung über die Organisation im kleinsten Raum vom f. an
abgebildet habe und Philodina roseola, die ich in der zweyten Abhandlung
characterisiert und deren Darmkanal ich ebenda abgebildet habe.
Uebrigens ist Lamarcks Furcularia rediviva,auf welche sich wahrscheinlich der
erste Name bezieht, wie aus Müllers Abbildung hervorgeht, meiner
Bestimmung nach ein ganz anderes Genus, nehmlich Rotifer vulgaris.
Was das zweyte Thier anlangt, so habe ich es in der mir übergeben
Probe des Sandes nicht aufgefunden, allein ich vermuthete aus der Beschreibung
der Herren Retzius und Carus, welche bey meiner Untersuchung gegenwärtig
waren, daß es ein mir bekanntes Thier sey, und als ich ihnen meine Abbildungen
davon vorzeigte, erkannten sie es als dasselbe an. Ich habe namentlich in der
hiesigen Gesellschaft naturforschender Freunde im vorigen Jahre über die
sehr eigenthümliche Entwicklungsweise eines neuen Thierchens einen
Vortrag gehalten, der für die Schriften bestimmt ist. Ich nannte das Thier
Trionychicum ursinum, ist madenförmig, länglich. Es hat 8 plumpe
Füße, an jedem 3 Krallen, einen stumpfzugespitzten kurzen Rüssel
mit 2 inneren Kiefertheilen oder Zähnen auf dickem, kugelförmigen
Schlundkopf. Der einfache, dicke Darm mit langem, dünnem Oesophagus,
den ich mit Farbstoffen hatte anfüllen lassen, erinnert an die Bildung
der Räderthiere (Hydatina), jedoch fehlen die zwey Magendrüsen und
die Räderorgane, dagegen besitzt es 2 ansehnlich schwarze Augen in der
Mitte des Kopfes (vielleicht Nackenaugen).
Das Sonderbarste ist, daß es seine großen Eyer in seine eigene Haut legt,
die es dabey abstreift, so daß es einen einfachen, dicken Eyersack hinter sich
herzieht (dem eines Cyclops ähnlich) , an welchem man ebenfalls 4 bis 6
oder 8 Füße abgestreift mit den Krallen wieder erkennt. Die Jungen
kriechen im Eyersacke selbst aus und haben ebenfalls 8 Füße, sind
überhaupt den alten ganz ähnlich. Verschiedene Geschlechter habe ich
noch nicht entdeckt, auch bin ich mit der Anatomie aller einzelnen Systeme
des Organismus noch nicht bekannt. Die nächste Verwandschaft hat dieses
sonderbare, frey im Schlamme lebende Thier mit den Lernäen, in dessen
Nähe es wohl zu stellen seyn mag bis sich deutliche Zwischenglieder
seiner wahren Gruppe gezeigt haben werden. Seine Größe ist meist 1/6 Linie,
zuweilen 1/4'''. Die Größe des Eyes beträgt 1/36''', des eben
ausgekrochenen Jungen 1/24''', folglich schwankt seine Größe
zwischen 1/24 - 1/4'''. Herr Professor Schultze mag nun selbst urtheilen,
ob sein Macrobiotus das von mir beschriebene ist, denn es ist jedenfalls gut,
die Synonyme festzustellen. Schwimmen kann das von mir beobachtete Thier gar nicht.
Da ich auch selbst durch diese Beobachtung noch nicht davon überzeugt bin,
daß vertrocknete Thiere irgend einer Abtheilung nach dem Tode wieder
aufleben, so will ich doch, um weitere Beobachtungen auf einem interessanten
Wege zu veranlassen, einiges aus meiner Erfahrung hinzufügen und da ich
durch Herrn Professor Retzius zur Aeußerung meiner Meynung veranlaßt
worden bin, so ersuche ich Sie, diese Erklärung doch in der Nähe jener
Beobachtungen gleichzeitig mitzutheilen, im Fall sie gedruckt werden.
Zahllose Versuche, welche ich mit Wiedererweckung von Infusorien angestellt
habe, die wirklich getrocknet waren, haben mir nie ein günstiges Resultat
gegeben. Die von mir zu solchen Versuchen benutzten Arten waren: Rotifer
vulgaris, Philodina erythrophthalma, Hydatina senta, Brachionus urceolaris,
Euglena sanguinea, Euglena viridis, Monas pulvisculus, überdieß
auch Anguillula fluviatilis, welche ich jetzt nicht mehr in eine der
Infusorien=Gruppen zähle. Ich besitze noch jetzt dergleichen getrocknete
Thiere in großer Zahl aus früherer Zeit. Einzelne, mehr
zufällige als absichtliche Beobachtungen habe ich aber fast an allen
von mir verzeichneten Magenthieren und Räderthieren gemacht. Das Resultat
jener sehr sorgfältigen Versuche, wobey ich nicht massenweis, sondern
im Einzelnen zu Werke ging, hat nichts Wunderbares ergeben. Daß die Individuen
der Räderthiere eine verhältnismäßig sehr lange Lebensdauer
besitzen, darüber habe ich mich durch directes Beobachten der Fortdauer
ihres Lebens und durch Isolierung der Einzelnen überzeugt, wie ich bereits
mitgetheilt habe. Auf Glas einzeln getrocknete Räderthiere oder Thiere
irgend einer Art, sind mir selten nach zwey Stunden, nie nach Verlauf eines
halben Tages wieder aufgelebt, viele waren zerplatzt. Vermischt mit
Pflanzenschleim, mit dem sie zufällig umgeben waren, besonders zwischen
Oscillatorien habe ich Rotifer= und Philodinaarten wirbeln gesehen, nie gelang
dies aber mit Hadytina, Brachionus, Euglena oder Monas, und ich zog daraus den
Schluß, daß jene muskulöseren Arten nicht todt gewesen. Nach mehr
als 14 Tagen hatte ich bis dahin keine Rückkehr zur Bewegung erlangen
können, obwohl ich es nicht für unmöglich hielt, daß ein vor Verdunstung
geschützter Zustand eine langsamere Lebensfunction wohl auf etwas mehr als
einen Monat verursachen und erhalten könnte.
Da nach Herrn Professor Schultze´s Versicherung die vorgezeigten trockenen
Sandtheile mit den Thieren 3 Jahre alt sind, so war ich sehr begierig zu
erfahren, was wohl in diesem Falle die Lebensthätigkeit unterstützt
und erhalten haben möge. Da fiel mir denn sogleich auf, daß alle die
Philodinen, welche zur Bewegung zurückkehrten, keineswegs einen leeren
Darmkanal zeigten, sondern daß sie alle einen mit grünen Körnchen stark
angefüllten Darm besaßen. Ich suchte nach der Quelle dieser Körnchen
in der Masse und fand bald viele feine Conserven ähnliche Fäden, deren
grüne Glieder ganz jenen Körnchen gleich waren, die im Darme
der Räderthiere lagen. Auch habe ich Eyer frey neben den Thieren gesehen
und Thiere sehr verschiedener Größe.
Anm. des Verfassers: Achtung! Nun kommt die Attacke!
Da ich kein Freund von Wundern bin, die außer den stufenweis sich vor
uns entfaltenden Naturprozessen liegen, so möchte ich mir das interessante Factum
der Wiederbelebung von 3 Jahren erstarrten Räderthieren auf folgende Art
erklären:
Die Wiederbelebung ist wohl eine Täuschung. Die Räderthiere usw.
waren weder todt, noch erstarrt, noch haben sie mit Sicherheit einzeln so
lange gelebt. Die in eine eyförmige Gestalt zusammengezogenen Thiere
mögen wohl, wenn sie von einem schleimigen, nicht ganz vertrockneten
Medium umhüllt sind, noch fortfressen, indem sie mit ihren, aus
dem seitlichen Munde etwas vorgeschobenen Kiefern nagen. Aus meinen früher
mitgetheilten Versuchen ergibt sich ferner, daß karge Nahrung gerade
die Lebensdauer der Individuen zu begünstigen scheine und die
Geschlechtfunctiuonen besonders verlangsame. Warum sollte man also,
anstatt das Wunderbare zu ergreifen, nicht lieber glauben, daß die Thiere
fortfressen und fort Eyer legen, so lange sie von einem, wenn nicht nassen,
doch zähen, ihnen ihre eigene Organisations=Feuchtigkeit erhaltenden
Medium und Nahrungsstoffe umgeben sind. So wären denn die nach 3 Jahren
scheinbar wieder belebten Thiere gar nicht dieselben, welche vor 3 Jahren
eintrockneten, sondern deren vielfache Urenkel. Viele Larven von Insecten
leben in scheinbar ganz trocknen Dingen ubd haben um sich eine sehr nasse
Atmosphäre. Daß die 3 Jahre lang scheinbar vertrockneten
Räderthiere schon binnen 1/2 Stunde im Wasser wieder vollkommene Bewegung
und Gebrauch der Glieder erhalten, dürfte sehr dafür sprechen,
daß sie sie nie verloren hatten, nur beschränkt waren. Auch darf
es nicht irren, wenn man beym ersten Anblick der so eben angefeuchteten
Thierklümpchen im Inneren keine Spur von Bewegung sieht, indem ganz
frische lebende Philodinen und Rotiferen, wenn sie gestört werden,
sich plötzlich in eine Kugel zusammenziehen und, ohne eine Spur von
innerer oder äußerer Bewegung zu äußern, oft halbe
Stunden lang ganz still liegen. Das lang entbehrte Wasser irritiert anfangs,
und allmählich erst versuchen sie vielleicht ihr neues Element."
Trotz seiner umfangreichen Ausführungen war der berühmte und fachlich
weltweit anerkannte Professor Ehrenberg in diesem Fall auf dem Holzweg. Heute
zweifelt niemand mehr an der Darstellung des Hofrats Schultze: Die Bärtierchen
können ihren Stoffwechsel tatsächlich bis zum fast vollkommenden
Stillstand verlangsamen und in diesem Zustand ungünstige Umweltbedingungen
über Jahre hinweg aussitzen. Die wiederbelebten Tiere sind nicht, wie
Ehrenberg meint, die Enkel der ursprünglichen Tiere, sondern genau dieselben,
welche eingetrocknet wurden.
Im nächsten Bärtierchen-Journal (Januar 2001) werden wir anhand einer
Mikrofotoserie sehen, wie ein vollkommen lebloses und trockenes
Bärtierchen-Tönnchen bei Wasserzutritt innerhalb von 15 Minuten zu
neuem, aktiven Leben erwacht, ganz genau wie es der Hofrat Schultze schon 1834
so treffend beschrieben hat.
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