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Lupen für Fortgeschrittene (XVI)
NIR-Spektroskopie an Lupen-Materialien (I)

Im Dezember 2022 hatten wir eine Lupe mit Kunststofflinsen vor­gestellt und mittels Raman-Spektroskopie nachgewiesen, dass diese aus Acrylglas bestehen. Angedeutet hatten wir jedoch, dass das gleiche analytische Ergebnis mit einer anderen spektroskopischen Methode sehr viel schneller, preiswerter und eleganter zu erzielen wäre. Hier, zur Erinnerung, nochmals ein Blick auf die betreffende Lupe:


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Abb. 1: EschenbachTM 8x Lupe mit - durchaus respektablen - Kunststofflinsen.

Die grundsätzliche Vorgehensweise zur alternativen NIR (Nah-Infrarot)-Spektroskopie sei hier, am Beispiel einer anderen Lupe, bildlich illustriert:


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Abb. 2: Ein SCiOTM NIR-Spektrometer (links) bei der Materialanalyse. Dieses gerade mal streichholzschachtel­große Gerät wiegt nur knapp 35 g, blitzt sein "Opfer" einfach kurz mit Infrarotlicht an (durch das kreisrunde, gelbe Fenster). Hinter dem roten Detektorfenster baut eine Sensormatrix dann sofort das zugehörige NIR-Spektrum des Untersuchungsmaterials auf und leitet dieses per Bluetooth an ein Smartphone weiter.

Auf diese Weise lassen sich übrigens nicht nur Kunstststoffe identifizieren, nein, das Instrument ist obendrein in der Lage, unterschiedliche Schmerztabletten zu erkennen, den Kakaogehalt von Schokoladen, das Material von TupperwareTM-Behältern, oder den Reifegrad von Erdbeeren zu bestimmen und sogar den "Gilbgrund" bei Autoscheinwerfern zu erforschen - einfach unglaublich! Im Falle der Eschenbach-Lupenlinsen erhalten wir ein eindeutiges Ergebnis:


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Abb. 3: NIR-Spektrum der Eschenbach-Kunststofflinsen (rot) und Referenzspektrum von Acrylglas (grün).

Im Vergleich mit dem NIR-Spektrum eines typischen Glases wird ein markanter Unterschied erkennbar:


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Abb. 4: Hier wurde zusätzlich das NIR-Spektrum eines Glases eingeblendet (blau). Die Unterscheidung zwischen normalem Glas und Acrylglas ist auf diese Weise einfach, schnell und eindeutig möglich.

Folgende Vergleichsspektren von gängigen Kunststoffen belegen, dass sich diese in der Regel NIR-spektroskopisch markant unterscheiden, so dass kunststoff­klassen­typische, spektrale Portraits entstehen:


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Abb. 5: Übersichtsbild mit beispielhaften NIR-Spektren einiger klassischer Kunststoffe, die sich deutlich unterscheiden. CA: Celluloseacetat, CN: Cellulosenitrat, PC: Polycarbonat, PMMA: Polymethylmethacrylat, PS: Polystyrol.


Ohne hier extrem ins Detail gehen zu wollen sei angemerkt, dass das SCiO-Spektrometer mit lediglich 12, über einen Wellenlängenbereich von ca. 800 nm bis ca. 1050 nm verteilten Sensoren misst. Die Spektren sind deshalb eine Art Overlay aus verhältnismäßig wenigen Messpunkten und somit gerätespezifisch, ihr Aussehen nur beschränkt mit anderweitig gewonnenen NIR-Ergebnissen vergleichbar.
Trotz des minimalistischen Hardware-Einsatzes generiert das SCiO-Spektrometer sehr zuverlässig und reproduzierbar kunststofftypus-charakteristische Spektrenbilder, die eine sekundenschnelle Zuordnung en passant, quasi aus dem Handgelenk heraus erlauben, was in dieser Kleinheit und Eleganz derzeit mit keiner anderen uns bekannten Methode möglich ist!

Betrachten wir nun ergänzend ein besonders klägliches Produkt, nämlich eine hier im Journal bereits früher vorgestellte Einschlaglupe mit Kunststofflinsen:


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Abb. 6: Eine geradezu unglaublich schlechte Dreifach-Lupe, beschriftet mit "5x 10x 15x". Die wobbelige Linsenoberfläche sowie lehrbuchreiche Kunststoffverarbeitungsartefakte sind bereits in unserer Erstbeschreibung dokumentiert.


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Abb. 7: Das NIR-Spektrum einer Linse der in Abb. 6 gezeigten Lupe signalisiert das Vorliegen von Polystyrol. Die rote Kurve zeigt das Spektrum einer Lupenlinse, die grüne ein Vergleichs­spektrum von Polystyrol ("PS reference").

Dieses Ergebnis passt zu unserer Einschätzung, dass Kunststofflinsen aus Polystyrol die dritte Wahl (nach Glas und Acrylglas) repräsentieren und deshalb typischerweise im reinrassigen Spielzeugsektor anzutreffen sind. Sogar die allereinfachste Glaszylinder-Lupenlinse aus dem internationalen Ebay ist derartigen Produkten noch haushoch überlegen!




Weiterführende Literatur und Beschreibung der hier eingesetzten Hilfsmittel

Poster mit einer Kurzbeschreibung des SCiO-Spektrometers - online verfügbar
Tiny, "quick & dirty" NIR spectroscopy for the identification of plastics

Susanne Brunner und Martin Mach (2021): Tiny, 'quick and dirty'. NIR spectroscopy for the identification of plastics. In: Bechthold, T. (Hrsg.): Future Talks 2019. Surfaces. Lectures and workshops on the technology and conservation of the modern. München, S. 216-225.

Bei dem hier verwendeten Instrument handelt es sich um die Basisversion eines "SCiO"-Spektrometers, welches bei Ebay für rund 200 € gebraucht erworben wurde. Das Gerät stammt aus einem Kickstarter-Projekt des israelischen Herstellers Consumer Physics. Eine wirklich wunderschöne Hardware-Sezierung des Spektrometers findet sich hier.

Das SCiO-Spektrometer gibt in seiner Software-Basisversion die Spektren lediglich in Form von Grafiken aus. Zur Konversion in eine grafikfähige Tabellenkalkulation kam deshalb die sehr empfehlenswerte Software WebPlotDigitizer zur Anwendung.


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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach