Exkurs: Das mikroskopische Sehen im Licht der Erkenntnisphilosophie (III) |
Abb. 1: Die bizarre blaue Linie um ein Bärtierchen-Ei - unser Leitmotiv seit Dezember 2023 |
Bei der Suche nach mutmaßlichen Parallelen und Erklärungen stießen wir immer wieder auf Diskussionen über das "korrekte" mikroskopische Aussehen von Diatomeenschalen-Dauerpräparaten. Man könnte meinen, dies sei trivial, weil Diatomeenschalen - als silikatisch-glasartige Gebilde - genauso transparent und farblos sein sollten wie Glas - eigentlich. Im Durchlicht eines Stereomikroskopes schauen sie auch genau so aus: |
Abb. 2: Ein Diatomeen-Kreispräparat
unter dem Stereomikroskop. Der hier gezeigte Diatomeenkreis ist nur 1 mm breit.
Er erscheint unter dem Stereomikroskop dementsprechend klein und blass.
Visuell ist ein, tatsächlich an Glas oder Eiskristalle erinnerndes
Glitzern zu bemerken, vor dem die Kamera im gleißenden Hellfeld jedoch
leider kapituliert.
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Die meisten Mikroskop-Amateure wissen jedoch sehr wohl, dass ein derartiges Präparat am großen Mikroskop deutlich Farbe zeigt: |
Abb. 3: Das selbe Kreispräparat, ebenfalls im Durchlicht, jedoch jetzt an einem Kursmikroskop fotografiert. 10fach Objektiv, schulmäßige Kondensor-Einstellung, LED-Licht. |
So richtig erstaunlich wird die Angelegenheit jedoch, wenn wir das Präparat im Dunkelfeld betrachten: |
Abb. 4: Wieder das Kreispräparat, nun in einem, mittels Kondensor-Zentralblende eingerichteten Dunkelfeld. 10fach Objektiv, LED-Licht. |
Wir registrieren, dass eine der kleineren kreisrunden Diatomeen (etwa in Position 9 Uhr)
ihre Farbe besonders heftig, von Blau-Grün nach Orangegelb verändert und
eine Reihe der Nachbarn nun plötzlich in intensiven Blautönen erstrahlt. |
Abb. 5: Wieder das Kreispräparat,
diesmal in Form eines Detailausschnitts, mit der am stärksten farbvariablen Schale in
der Bildmitte.
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Was dieses Chamäleon-Spektakel nun mit der Eingangsfrage
nach der blauen Linie zu tun haben könnte? Leider wohl rein gar nichts! |
Abb. 6: Ein anderes, nicht zugeordnetes Ei mit deutlich erkennbarer blauer Konturlinie. Durchmesser ca. 180 µm, demnach wohl zu groß um noch als Bärtierchen-Ei gelten zu können. |
Die blauen Konturlinien scheinen regelmäßig, vermutlich vorzugsweise
in Zusammenhang mit sphärischer Geometrie aufzutreten - sogar in völlig andersartigem biologischem Kontext.
Lediglich beispielhaft sei auf ein Foto im deutschsprachigen Mikroskopie-Forum hingewiesen
(einfach Bildersuche nach: "mikroskopie-forum epidermis einer tulpenhybriden"). |
Abb. 7: Nochmal, zur Erinnerung, ein intaktes (kugelförmiges) Ei mit eindeutiger blauer Konturlinie. |
Abb. 8: Vorhandensein (links) bzw. vollständiges Verschwinden der blauen Linie bei einer zerknitterten Eihülle, nach dem Schlüpfen des betreffenden Bärtierchens (rechts). |
Abb. 9: Lediglich partielles Verschwinden der blauen Linie, wohl in direktem Zusammenhang mit dem allmählichen Verlust der Kugelgeometrie (leicht verformtes Ei). Man beachte die neu entstehende Konturlinie samt komplettem Regenbogenspektrum, nun allerdings mit einem weiteren, nach innen gerichteten Blau. Die Aufnahmebedingungen sind hier bereits etwas grenzwertig. Zum Einsatz kam ein apochromatisches Ölimmersionsobjektiv (mit Öl am Objektiv und auf dem Kondensor). Da das Ei, genau wie der - gemeinhin als sehr viel wichtiger erachtete - Fußball, eben nun mal ziemlich rund ist und die Wandung nur in der Äquatorialebene (etwa 20 µm unter dem Deckglas) fokussiert werden kann, ist mit komplizierenden optischen Effekten und schlimmstenfalls Betrachter-Selbsttäuschungen zu rechnen. |
Die Kugelgeometrie der Eihülle erlaubt wohl die Annahme, dass die blaue Konturlinie nicht richtungsabhängig sein kann (nicht von der Orientierung des Objekts abhängt). Dies unterscheidet den Effekt von gängigen Interferenzphänomenen, wie wir sie beispielsweise von Schmetterlingsflügeln, irisierenden Käferpanzern oder Ölflecken auf Wasserpfützen kennen. Eine gerichtete Mikrostruktur erscheint insofern eher unwahrscheinlich. Vielleicht liegt die Erklärung somit eher in der Grobgeometrie, der Kugelschalenform, die hier den gemeinsamen Nenner zu stellen scheint? |
Vermutlich sollten wir das Ganze nun einfach wieder vergessen, oder in bewährter Weise
- statt einer Erklärung - einen wissenschaftlich klingenden Phänomen-Namen vergeben?
Nachdem uns ein geduldiger Leser den Artnamen der hier aktiven Bärtierchenart verraten hat
(Hypsibius scabropygus Cuénot 1929) könnten wir die Linie fortan
als die Scabropygus-Linie bezeichnen ... |
© Text, Fotos und Filme von Martin Mach |