[Titelfragment 1.1] [Titelfragment 1.2] Titelfragment 1.3]
[Titelfragment 2.1] [Titelfragment 2.2] [Titelfragment 2.3]
[Titelfragment 3.1] [Titelfragment 3.2] [Titelfragment 3.3]

In der letzten Ausgabe des Journals hatten wir die Bärtierchenart Macrobiotus areolatus  primär anhand der recht charakteristischen Eiform identifiziert. Im Kapitel über die Zoologische Systematik der Bärtierchen wurde deutlich, daß die sichere Artbestimmung eines beliebigen, lebendigen Wasserbärs in den meisten Fällen für den Amateur schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, so daß ein wenig Bescheidenheit anzuraten ist.


Wie versprochen werden wir in diesem Monat ein offenkundig anderes, vergleichsweise kleines, aber hochinteressantes Bärtierchen-Ei zuordnen:


[Bärtierchen-Ei]

Bärtierchen-Ei, Ø ca. 40 µm.
In der Bildmitte wurzelförmige Ausläufer der Speiseröhre, links und rechts davon die Ansatzpunkte der beiden dünnen, geraden Stilette.
Weil diese kalzifizierten Strukturen später nicht mehr wachsen können, werden sie schon im Ei relativ groß angelegt.
N.B.: Leider konnte sich dieses schöne Motiv gegenüber dem traditionellen Eichenlaub nicht als Rückseitenbild für die neuen Euro-Münzen qualifizieren!


Dieses Ei stammt von einem Bärtierchen einer anderen Gattung, einem sogenannten Echiniscen. Viel mehr Information gibt das Ei nicht her.
Zur Artbestimmung der Echiniscen muß man sich die jeweils zugehörigen, erwachsenen Tiere anschauen. Besonders faszinierend wirkt der wahrhaft gummibärenartige Körper mancher Echiniscen im Auflicht. Schauen Sie sich doch mal ein Bild an:


[Gummibär? (jpg)]

Echiniscus-Bärtierchen, lebendig, Mischlicht.
(Erstabdruck in Creation, Brisbane, Australien,
© Martin Mach 11/2001).


Vor der Erfindung der Mikrofotografie gab es nur den Zeichenstift, welcher zwar die Konsistenz des Körpers nicht so schön abbilden kann, jedoch die vielen Details der unterschiedlichen Schärfeebenen besser wiedergibt. Knapp 40 Jahre nach der Erstbeschreibung eines Echiniscus-Bärtierchens durch den Hofrat Schultze sah die Lehrbuchdarstellung so aus:


[Echiniscus creplini]

"Echiniscus creplini".
Abb. aus: Ludwig K. Schmarda, Zoologie. II. Band, S. 58. Wien 1878.

Liebevoll ausgeführte Details: Kugelförmiger Schlundkopf mit dünner Speiseröhre für Pflanzensäfte; zwei lange, dünne, gerade Stilette zum Anstechen von Pflanzenzellen; Dornen am ersten Beinpaar; verstärkte Ansätze der Fäden am Rückenpanzer; schöne Darstellung der Anordnung und feinen Musterung der Panzerplatten. Pigmentbecheraugen angedeutet.


Die Panzerung ist in der obigen Zeichnung zwar angedeutet, ihre Funktion als flexibles System, ähnlich einer Ritterrüstung, jedoch nicht darstellbar. Im modernen Mäusekino ist diese Eigenschaft besser darstellbar:

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Video-Clip: Flexibler Rückenpanzer eines Echiniscus-Bärtierchens
(wegen der Beschwerden über die langen Ladezeiten diesmal kleinformatig und gruftig-grau, aber schnell ladbar).
Zwei Dornen sind links im Bild andeutungsweise zu erkennen.


Viele Details der Panzerung sind nur mit viel Geduld am lebenden Tier, oder, nach massivem Einsatz von Chemikalien, am toten Tier, erkennbar. Wer sich Zeit nimmt, wird allerdings auch ohne Morden zum Ziel kommen. Besonders frisch abgeworfene, noch gut erhaltene Schalen sind schön durchsichtig und zeigen die typischen Eigenschaften der Panzerung. Hier kommt man allerdings mit einem Spielzeugmikroskop nicht mehr weit. Die Strukturmerkmale der Panzerplatten werden erst mit Hilfe eines guten Kursmikroskopes sichtbar. Die folgenden Abbildungen zeigen, was wir mit einem Lichtmikroskop sehen können:


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Detail vom Rücken eines Echiniscen- Bärtierchens: Panzerplatte mit Dorn


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Detail vom Rücken eines Echiniscen- Bärtierchens: Panzerplatte mit Faden (Haar)


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Echiniscen-Panzerplatten (Bärtierchenrücken).
Die Tragwerksstruktur in interessanter Leichtbauweise läßt immer noch genügend Sauerstoff zum Atmen durch.

Schön zu sehen: Abdichtende Fugenabdeckungen an den Rändern der Panzerplatten.


Und nun, wie versprochen, noch das wichtigste Bestimmungskriterium und Ergebnis zur Zuordnung des roten Eies ganz oben. Die Abb. 1, unten links, zeigt den Rückenpanzer der Eltern im lichtmikroskopischen Bild. Abb. 2 bildet denselben Rücken, schematisch als Zeichnung, nach Betrachtung aller Schärfeebenen ab:


[] []

Abb. 1: Echiniscen-Rücken

Abb. 2: Echiniscen-Rücken, Nomenklatur


Erklärungen: Die römischen Ziffern in Abb. 2, links, beziehen sich auf die Rumpfplatten I bis IV.
K bezeichnet die Kopfplatte, Rumpfplatte I wird in der Literatur auch Schulterplatte genannt.
Die roten Beschriftungen S1 bis S3 geben die Position der sogenannten Schaltplatten an, welche näher am Körper liegen als die massiveren Rumpfplatten.
Die Großbuchstaben A bis E dienen zur Beschreibung der Positionen, an denen Körperanhänge zu finden sein können. Im gezeigten Beispiel finden sich Fäden nur in den Positionen A und C, bei B und D fehlen sie. Die Fäden auf Höhe C werden wegen ihrer unterschiedlichen Position als laterale(seitliche), dorsale(am Rücken befindliche) oder auch dorso-laterale Fäden bezeichnet.
In Position D bemerken wir außerdem links und rechts jeweils einen dorsal angeordneten Dorn.


Bei MARCUS (s. Lit.) werden die entsprechenden Echiniscen-Arten nach Art und Position der Fäden und Dornen, abgestuft nach zunehmender Haarigkeit, wie folgt zugeordnet (im Original bei MARCUS Zeichnungen, hier als Tabelle umgesetzt):


[] 

Echiniscus blumi-Reihe (nach Marcus)

Merkmal:

Fäden bei B

Fäden bei C

Dornen bei C

Fäden bei D

Dornen bei D

E. canadensis

-

2 x 1

-

-

2 x 1

E. bisetosus

-

2 x 1

2 x 1

-

2 x 1

E. mediantus

-

2 x 2

-

-

2 x 1

E. trisetosus

-

2 x 2

-

2 x 1

2 x 1

E. blumi

2 x 1

2 x 2

-

2 x 1

2 x 1


Alle Bärtierchen der Echiniscus blumi-Reihe haben außerdem zwei laterale Fäden in Position A.
Unser Bärtierchen von Abb. 1 und das zugehörige, ganz oben gezeigte, rötliche Ei wären gemäß der Systematik nach Marcus als Echiniscus mediantus einzuordnen.

Derzeit arbeitet das Entwicklungsteam des Bärtierchen-Journals hinter verschlossenen Türen an einem neuen, bahnbrechenden Projekt: Lange Zeit wurde nach einem geeigneten Modellsystem gesucht, in welchem das Eintrocknen und Wiederaufleben der Tardigraden gut zu studieren ist. Wie wir wissen, ist der typische Lebensraum der landbewohnenden Bärtierchen, nämlich das Moospolster, hierfür nur schlecht geeignet, weil es zu wenig durchsichtig ist. Erste Ergebnisse der Experimente sollen hier im Februar-Journal vorgestellt werden.
Ganz egal, ob sie unser Thema eher ernst oder eher locker nehmen, bleiben Sie einfach dran. Frohe Weinnachten, ein gutes Neues Jahr - und hoffentlich bis bald!




Literatur

Ernst Marcus: Tardgrada. S.125. Berlin 1936


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© Text und Mikrofotos von  Martin Mach