Das Bärtierchen-Journal
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Seliges Schlummern? - Trockenzustand mit Verfallsdatum (III)

In der  letzten Ausgabe  des Bärtierchen-Journals hatten wir ein vier Jahre lang trocken aufbewahrtes Moos gewässert und darin einige - allerdings sehr wenige - noch lebensfähige Bärtierchen gefunden. Wir hatten weiterhin versprochen, auch einen Blick auf noch ältere Moosproben zu werfen und tun das jetzt auch ganz brav.

Im Internetantiquariat ZVAB werden in erster Linie Bücher angeboten - klar. Doch mancher schlaue Händler schmuggelt darüber hinaus das eine oder andere Kuckucksei unter die dortigen Angebote, was, wie wir gleich sehen werden, nicht immer ein Nachteil sein muß. Ein Angebot hat uns geradezu magnetisch angezogen: "Moosherbar, signiert von Frater Erhard, Eichstätt 1925".

Herbare, d.h. Sammlungen getrockneter Pflanzen (vom lateinischen "herba", Kraut) sind heute leider aus der Mode gekommen. Große Herbarsammlungen mit Millionen Einzelblättern zeugen jedoch von einem unerhörten Sammeleifer unserer Vorfahren und stellen die Erben und Verwalter vor entsprechend große Konservierungsprobleme: Die zur Montage verwendeten Papiere vergilben, verblassen, verbiegen und zerfallen, Planzenteile oder sogar ganze Pflanzen lösen sich und begründen eine Anarchie, welche die Archivare in die Verzweiflung treibt.

"Unser" kleines Moosherbar ist vergleichsweise harmlos. Es kam als winziges Päckchen per Post ins Haus und besteht aus einem nur 2 cm hohen Stapel leicht vergilbter Papierblätter im Format 15 cm x 8,5 cm. Unter dem Deckblatt liegen die 38 eigentlichen Herbarblätter, jedes mit einem Moosbüschel und einer zweisprachigen Beschriftung mit lateinischem und deutschem Artnamen, z.B. "Mnium cuspidatum    Spitzblättriges Farnmoos".


[ Moos-Herbar des Fraters Erhard ]

Das Moos-Herbar des Fraters Erhard von 1925. Es besteht aus dem hier sichtbaren Deckblatt, darunter den eigentlichen Herbarblättern, 38 Stück, und wird in einer Hülle aus strapazierfähigem, dunkelbraunen Packpapier verwahrt.


[ Moos-Herbar des Fraters Erhard ]

Das Moos-Herbar des Fraters Erhard im Überblick: Gesamtansicht, Deckblatt und 38 Einzelblätter.


Bereits ein Vorversuch mit einer kleinen Faser von einer relativ großen Sphagnumprobe brachte ein bärtierchenspezifisches Ergebnis: Ein Ei von Macrobiotus hufelandi !


[ Moos-Herbar des Fraters Erhard ]

Moos-Herbar des Fraters Erhard: Bärtierchenei (Macrobiotus hufelandi) in einer Sphagnummoosprobe. Durchmesser knapp 0,1 mm.

[ Moos-Herbar des Fraters Erhard ]

Dasselbe Ei, Detailansicht.


Das abgebildete Ei ist offensichtlich nicht mehr lebensfähig. Starke Verklumpungen und Verwerfungen des Ei-Inneren deuten auf eine irreversible Degeneration des Proteins hin. Wer ab und zu mal einen aufmerksamen Blick auf sein Frühstücksei wirft, erkennt die zwiebelschalenähnlichen Strukturen wieder, welche auch für noch genießbare, jedoch nicht mehr allzu frische Hühnereier charakteristisch sind.


Besonders gespannt waren wir auf die Probe des Mooses "Grimmia pulvinata", weil die Bärtierchen in dieser Moosart erfahrungsgemäß besonders zahlreich vorkommen. In einem Einzelpflänzchen der Grimmia-Probe fanden sich diverse Spuren früheren Lebens: Pollen, Trockenformen von Rädertierchen und, immerhin, ein einziges Bärtierchen!


[ Moos-Herbar des Fraters Erhard, Einzelblatt mit der Moosart "Grimmia pulvinata" ]

Moos-Herbar des Fraters Erhard: Einzelblatt "Grimmia pulvinata".


[ Moos-Herbar des Fraters Erhard, Einzelblatt "Grimmia pulvinata", Detail. ]

Moos-Herbar des Fraters Erhard: Einzelblatt "Grimmia pulvinata", Detail.


[ Moos-Herbar des Fraters Erhard, Pollen vom Einzelblatt "Grimmia pulvinata" ]

Moos-Herbar des Fraters Erhard: Pollen aus dem Moos "Grimmia pulvinata".


[ Moos-Herbar des Fraters Erhard, Rädertierchentrockenform vom Einzelblatt "Grimmia pulvinata" ]

Moos-Herbar des Fraters Erhard: Rädertierchen-Trockenform aus dem Moos "Grimmia pulvinata". Innenstruktur weitgehend intakt, jedoch nicht mehr animierbar.


[ Moos-Herbar des Fraters Erhard, Bärtierchen vom Einzelblatt "Grimmia pulvinata" ]

Moos-Herbar des Fraters Erhard: Bärtierchen auf "Grimmia pulvinata", nicht mehr lebensfähig.


[ Moos-Herbar des Fraters Erhard, Bärtierchen vom Einzelblatt "Grimmia pulvinata"]

Moos-Herbar des Fraters Erhard: Bärtierchen, wie oben, Detail.
Deutlich erkennbar: Protein-Deformation in der Leibeshöhle.


Es ist natürlich schade, dass das Bärtierchen oben nicht mehr lebensfähig ist. In Anbetracht der schon in der letzten Ausgabe erkennbar niedrigen Überlebensrate nach "nur" vier Jahren Tockenzeit besteht auch wohl kaum eine Chance, in den vergleichsweise kleinen Herbarproben, noch dazu nach mehr als 80 Jahren Trockenzeit noch lebendige Bärtierchen zu finden.
Andererseits hat der Frater Erhard mit seinem Moosherbar wieder einmmal gezeigt, daß so ein Herbar aus immer auf's Neue durchforschbarer Materie besteht und insofern einem simplen Pflanzenfoto oder einem Herbar-Computerscan haushoch überlegen ist.


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© Text und Fotos von  Martin Mach