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Bärtierchen: das große Fressen bzw. das Fressen der Großen (I)

Bei unseren Ausflügen ins Bärtierchenleben stoßen wir auf sehr unterschiedliche Szenarien. Es gibt Mischkulturen (wie etwa das bunte Artengewimmel auf den Beton-Ufereinfassungen der Isar in München), aber auch Monokulturen (zum Beispiel auf alten, bemoosten Ziegeldächern, dort häufig mit einer einzigen Art von roten Echiniscus-Bärtierchen).

Beides hat Vor- und Nachteile: Bei den Mischkulturen blicken wir ins pralle Leben, können Freunden und Bekannten die Tardigradenvielfalt in einem Blick präsentieren. In einer Mischkultur lässt sich allerdings nicht mehr mit Sicherheit sagen, welches Individuum beispielsweise welche Art von Ei gelegt haben könnte.
Die Monokulturen eignen sich deshalb besser, wenn wir uns auf bestimmte Arten oder spezielle Vorgänge konzentrieren möchten.

Dieses und die folgenden Journale zielen auf das Fressverhalten, und speziell auf das Fressverhalten einer Bärtierchenart mit besonders großen Individuen, nämlich Macrobiotus richtersi. Diese Art ist relativ häufig, wurde vermutlich deshalb früh entdeckt. Wir gehen davon aus, dass die untenstehende, sehr alte Abbildung des "Macrobiotus schultzei" genausogut einen Macrobiotus richtersi zeigen könnte. Und, wie heißt es doch so schön: Namen sind Schall und Rauch - manchmal leider auch in der Biologie, sei es nun, dass die Priorität eines Erstentdeckers übersehen wurde oder dass spätere Forschergenerationen das System ein wenig umkrempelten und Arten umbenannten.


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Abb. 1: Macrobiotus schultzei alias Macrobiotus richtersi. Dieses wunderschöne Bild haben wir aus [Shipley 1909] entnommen. Es geht jedoch auf ein sehr viel älteres, nämlich von Greeff (1865 oder 1866) zurück.

Eine respektable Population (und gleichzeitig Monokultur) von Macrobiotus richtersi fanden wir unter einem alten, moosbewachsenen Ahornbaum, dessen marode Wurzeln und alte Borke von hungrigen Amseln und Spechten ausgiebig genutzt werden.


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Abb. 2: Stamm und Wurzelwerk eines alten Ahornbaums mit unzähligen (hier nicht direkt sichtbaren ;-) Macrobiotus richtersi Bewohnerinnen.

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Abb. 3: Dies ist keinesfalls unser Werk, sondern das der ruchlosen Amseln und Spechte! Links im Bild ein abgerupftes Moospolster (auf dem Kopf liegend), rechts das holzumformende Werk des Spechts.

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Abb. 4: Das abgerupfte, gestrandete Moos erscheint in der Petrischale ziemlich leblos ...

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Abb. 5: Es erwacht jedoch mit Hilfe eines Löffelchen Wassers binnen weniger Minuten zu einem erstaunlich kräftigen Grün!

Mit Hilfe der Pasteurpipette können wir eine der Bewohnerinnen aus der Petrischale herausfischen und im großen Mikroskop betrachten. Schon ein flüchtiger Blick auf Abb. 6 vermittelt, warum Macrobiotus richtersi gemeinhin als wenig attraktiv beurteilt wird - ja vielleicht sogar Mitverantwortung dafür trägt, dass manchmal die gesamte Sippe der Bärtierchen das Label "wurmförmig" verpasst bekam! Man sieht im Mikroskop vorrangig einen massigen, länglichen Körper, unter dem die Beine mit ihren winzigen Krallen regelrecht zu verschwinden scheinen. So wird das jedenfalls nichts mit dem ersten Preis beim Nikon Mikrofotowettbewerb. Und es lässt sich auch nicht verheimlichen, dass hier eine Zeichnung im Stile von Abb. 1 visuell und didaktisch haushoch überlegen ist.


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Abb. 6: Macrobiotus richtersi vom geschundenen Ahornbaum. Bildbreite ca. 0,3 mm. Man vergleiche mit der sehr viel ergiebigeren Skizze in Abb. 1 und beachte auch das, was in beiden Abbildungen fehlt: die Augenflecke! Wie soll dieses Tier sein Fressen finden?

In den beiden nächsten Journalen werden wir darlegen, warum die Bewohner dieser verwaisten Moospolster eindeutig als Macrobiotus richtersi anzusprechen sind und welch schreckliche Dinge sie dank ihrer breiten Mundröhre sowie ihrer kräftigen Stilette anzustellen vermögen.


Bildquelle

A.E. Shipley: Tardigrada. In: Smith, Geoffrey et al., Crustacea and Arachnids. S. 480. London 1909.


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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach