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Kroatien (III)

Im   April-Journal  hatten wir von einer marinen Tardigraden-Cuticula aus Kroatien berichtet, weiterhin angemerkt, daß die zugehörigen vollständigen Exemplare zuhause im "Rocharium" (unserem favorisierten Mikroaquarium) dann leider nicht mehr zu finden waren.
Sie erinnern sich nicht mehr an das Rocharium und warum es so heißt? Kein Problem: der Name kommt von einer handelsüblichen Süßigkeit, die in diesen transparenten Boxen verkauft wird. Ein aktuelles Bild des Aquariums sehen Sie gleich hier unten:


[ "Rocharium" mit Bärtierchen aus Kroatien ]

Meerwasser-Mikroaquarium "Rocharium", ca. 15 cm x 8 cm x 7 cm. Es enthält fast reinen (natürlich kühl und permanent feucht antransportierten) Meersand, nur wenige Millimeter hoch aufgeschichtet, darüber Fundortwasser. Das Aquarium erhält sich bei schattiger Aufstellung von alleine so weit im Gleichgewicht, daß die Tardigraden darin mindestens ein Jahr, wahrscheinlich auch länger, ohne Wasserwechsel und ohne Zusatzfutter am Leben gehalten werden können und sich auch fortpflanzen.

Trotz der relativen Kleinheit derartiger Mikroaquarien hat uns die Erfahrung gelehrt, daß durchaus mehrere Bärtierchenarten darin leben können, sich die Tiere jedoch so unauffällig verhalten, daß man sie nicht findet! Von wegen Mikroaquarium ... viel eher eine Suchwüste!

Genauso ging es mit unseren kroatischen Bärtierchen. Nach einigen Monaten tauchte, quasi aus dem Nichts, im Mikroaquarium dann doch noch das zur Cuticula passende Bärtierchen auf:



[ Bärtierchen aus Kroatien ]

Bekralltes Meeresbärtierchen aus Kroatien, Vorderleib. Bildbreite ca. 0,1 mm.

[ Bärtierchen aus Kroatien ]

Bekralltes Meeresbärtierchen aus Kroatien, letztes Beinpaar. Bildbreite ca. 0,07 mm.

Eine versuchsweise Genusbestimmung

Seit der letzten Auflage von Guiseppe Ramazottis Tardigradenbestimmungswerk von 1983 (siehe Literatur) hat es niemand mehr gewagt, eine umfassende Artbestimmungshilfe für alle Bärtierchen vorzulegen. Die Profis behelfen sich mit einzelnen, verstreut publizierten Genusreviews. Für die Amateure wird es jedoch zunehmend schwierig, mit der sich stetig komplizierenden Tardigradensystematik und den vielen neu publizierten Genera Schritt zu halten.

Als kleiner Trost sei hier vermerkt, dass sich auch manche durchaus honorigen Biologen mit den Tardigraden nicht leicht tun. So findet sich beispielsweise in Robert Hofrichters prächtiger Mittelmeerbibel, Band II/1 (2003), S. 50 eine (falsch) geschätzte Mittelmeer-Bärtierchen-Artenzahl von gerade mal "10 ?". Wie bereits gewohnt, werden die Bärtierchen hierbei gewaltig unterschätzt: Die italienische Tardigradenspezialistin Susanna de Zio Grimaldi nennt in einer bereits etwas länger zurückliegenden Publikation alleine für die süditalienischen Meeresküsten "rund 50" nachgewiesene Bärtierchenarten.

In Clark Beasleys Übersetzung von Ramazzottis Tardigradenmonographie steht als Definition für das im vorliegenden Fall von uns vermutete Genus Halechiniscus zu lesen: "Halechiniscidae with legs with four digits, terminating with a sickle-shaped claw, with or without distal spurs; head flattened, with lateral expanded lobes".

Diese Merkmale treffen auf die hier diskutierten Meerestardigraden zu. Die anderen gängigen Genera passen jedenfalls schlechter.

Hier sei lediglich erwähnt, dass sich die Genera Batillipes und Orzeliscus durch runde bzw. ovale Zehenhaftlappen auszeichnen (statt der hier vorgefundenen, papageienschnabelartig verstärkten Krallen). Das Genus Echiniscoides ist systematisch weitab entfernt und trägt bis zu 11 Krallen pro Bein, jedenfalls immer mehr als 4 Krallen. Beim Genus Parastygarctus tragen die mittleren von den insgesamt vier Krallen lange Fortsätze, die irgendwie an künstliche Fingernagelverlängerungen erinnern. Das pittoreske Genus Tanarctus  wiederum ist geprägt von flügelartigen cuticularen Fortsätzen, die wie ein Regenumhang am Rücken ansetzen können, ja gelegentlich sogar an belaubte Äste oder kunstvolles Schleierwerk denken lassen.

Der gestrenge Profibiologe oder der gelegentlich noch strengere Amateur mag nun natürlich nachhaken und fragen, welche Art denn nun genau vorliege? Halechiniscus perfectus, Halechiniscus greveni oder etwas ganz anderes? Die Antwort ist ganz einfach: Wir wissen es leider nicht und müssen es vielleicht auch nicht wissen.
Wir haben jedoch das deutliche Gefühl, daß Halechiniscus-Bärtierchen an den Küsten Kroatiens deutlich häufiger sein könnten als der dort ohnehin schon äußerst zahlreich vorgefundene deutsche Tourist - und das ist doch schon mal eine Information, die uns alle gleichermaßen trösten wie nachdenklich stimmen könnte!

Im "Rocharium" verbirgt sich übrigens ein weiteres exotisches und besonders attraktives Tardigradengenus, welches wir in Kroatien nicht bemerkt hatten und welches sich bislang auch im Mikroaquarium äußerst geschickt versteckt hatte. Wir werden dieses bizarre Genus bald hier vorstellen.


Literatur

Robert Hofrichter (Hrsg.): Das Mittelmeer. Band II/1: Bestimmungsführer. S. 50. Heidelberg und Berlin 2003.

Guiseppe Ramazzotti, Walter Maucci: Il phylum Tardigrada. Memorie dell'Istituto Italiano di Idrobiologia.
3. Auflage 1983.

Santiago Villora-Moreno und Susanna de Zio Grimaldi: New Records of marine Tardigrada in the Mediterranean Sea. Zoological Journal of the Linnean Society 116 (1996) S. 149-166.


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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach