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Bärtierchen, Naturalists und die große Triplett-Verzweiflung (III)

Querschläger aus den zunehmend hassverseuchten Sphären von Politik und Internet landen gelegentlich auch bei den Mikroskopikern. Es handelt sich natürlich nur um vergleichsweise kleine, fast schon vernachlässigbar kleine Einspiegelungen aus der Heimatvergifter-Szene.

Machen wir uns jedoch nichts vor: Auch die Mikroskopiker sind gegen eigene Primitivität nicht gefeit. Und Wortprägungen wie beispielsweise "Mikroskop-Chinaschrott" sollte man nicht leichtfertig als harmlose Realitätsverzerrungen durchgehen lassen. Ähnlich wie Ehrenbergs mikroskopische Gebirgsbildner bilden auch sie quasi die atomare Feinstruktur und Vorlage für den später angreifenden, fahrlässig zündelnden Rattenfänger.

Klar, chinesische Mikroskope und Lupen können von minderwertiger Qualität sein. Dies trifft aber genauso auf x-beliebige Produkte deutscher Hersteller zu. Die im letzten Journal vorgestellte "6 LED"-Lupe kommt aus China und ist qualitativ kaum zu toppen. Im entgegengesetzten Extrem der China-Palette rangiert die vielfach bei Ebay angebotene "Triview"-Acrylharzlupe (Abb. 1). Diese eignet sich zwar kaum zur Untersuchung von Objekten, sie kann jedoch als durchaus lohnendes und lehrreiches Anschauungsbeispiel für ein durch und durch missratenes Kunststoffprodukt empfohlen werden:


[ "Triview"-Lupe, Ebay ]

Abb. 1: "Triview" Einschlaglupe, mit drei ausklappbaren Kunststofflinsen. Wahlweise 5x, 10x oder 15x halluzinationsfördernd (vgl. hierzu das Bildergebnis in Abb. 4).

["Trieview"-Lupe, seitliche Blick auf eine Linse ]

Abb. 2: "Triview" Einschlaglupe, seitlicher Blick auf eine der Acrylharzlinsen. Man erkennt eine bizarre, konzentrische Wölbung und nicht auspolierte Riefen auf der Linsenoberfläche.

[ "Triview"-Lupe, Makroaufnahme ]

Abb. 3: Beim genaueren Hinsehen zeigen sich ein kleiner Gasblasenvulkan sowie viele feine Kräuselwellen auf der Oberfläche. Und nein, es sind leider keine Fingerabdrücke.

[ "Triview"-Lupe, Bildergebnis ]

Abb. 4: In der praktischen Erprobung zeigt sich, wie die gebündelten Linsenfehler das Bildergebnis gegen Null ziehen. Aufnahme eines Leica-Test-Dias durch die "Triview"-Lupe (mit zwei Linsen, 10fach). Kamera: Sony Nex-5N, moderat abgeblendetes Sony-Weitwinkelobjektiv. Man vergleiche mit dem Bild von der 1,50 € Lupe aus China, die wir im letzten Journal vorgestellt haben. Die Triview kostet derzeit im deutschen Ebay zwischen 10 und 20 € - netto.

Wer psychedelische Drogenerlebnisse sucht, muss demnach nicht mehr zum Lysergsäurediethlyamid (LSD) greifen - ein Blick durch die "Triview" erzeugt vergleichbare Raumverzerrungseffekte, noch dazu für deutlich weniger Geld!


Im letzten Journal hatten wir nun allerdings keine Abhandlung über LSD versprochen, sondern eine kleine Erläuterung zum Auflösungsvermögen von 10fach Lupen. Wer möchte, sollte sich einfach einen Objektmikrometermaßstab mit Hundertstelmillimeter-Teilung besorgen und eigene Experimente durchführen. Ein Objektmikrometermaßstab, klar, auch wieder aus China, kostet nur ca. 7 €.


[ Zylinderlinsenlupe und 6 LED-Triplettlupe ]

Abb. 5: Ein Objektmikrometerkreuz 1 mm x 1 mm, wie es im Lichtmikroskop aufgelöst wird (links) und wie es bei der Betrachtung durch eine 10fach Lupe erscheint (rechts).

Die Hundertstelmillimeterskala wird somit mit der 10fach Lupe nicht aufgelöst (Abb. 5). Egal wie teuer die Lupe und wie scharfsichtig der Betrachter sein mag - die feinste Skala erscheint als Matsch.

Andererseits kann man sich auf einfache Weise überzeugen, dass praktisch jede 10fach Lupe, wenn man sie behelfsmäßig an Stelle des Objektivs unter ein Mikroskop montiert, die Hundertstelteilung ohne Probleme detailliert darzustellen vermag. Wir können aus diesem einfachen Experiment schließen, dass die Lupe besser auflöst als unser Auge. Oder, anders ausgedrückt, dass praktisch alle 10fach Lupen unterhalb ihrer tatsächlichen Auflösungsgrenze betrieben werden. Sie vergrößern somit schwächer als sie auflösen könnten. Ein interessanter Gegensatz zum 1200fach vergrößernden Spielzeugmikroskop, bei dem die Verhältnisse genau anders herum liegen: Das Spielzeugmikroskop prahlt mit einer, im Vergleich zur Auflösung übertrieben hohen Vergrößerung.


Trotzdem kann die 10fach Lupe als hervorragendes Instrument zum Auffinden der winzigen Echiniscus-Trockenformen im Moos dienen - wohlgemerkt ohne Wässerung! Nebenbei kommen wir dank der niedrigen Vergrößerung in den Genuss eines großen Blickfeldes (bis zu 2 cm) und einer hervorragenden Schärfentiefe, zwei Faktoren, die uns die Bärtierchensuche im Moosdschungel gewaltig erleichtern.


[ Moospolster-Bruchfläche ]

Abb. 6: Grimmia pulvinata Moospolster-Bruchfläche. Die Breite des Moospolsters beträgt 4 cm.

Der clevere Trick besteht nun keineswegs darin, sich eine schweineteure 10fach Lupe zu kaufen (schlimmstenfalls ohne Licht, tragisch-hoffnungslos, in unserem speziellen Anwendungsfall klares "silly money"!). Statt dessen schalten wie einfach bei der im letzten Journal gezeigten, chinesischen "6 LED"-Triplett-Lupe das Licht ein - und schon leuchten die winzigen Echiniscus-Tönnchen wie kleine Saphire, in einem markanten Blauton:


[ Moospolster-Bruchfläche, Detail  ]

Abb. 7: Grimmia pulvinata Moospolster-Bruchfläche. 1 cm breites Detail aus Abb. 6.
Nase an den Bildschirm! Jedes kleine blaue Pünktchen verrät ein winziges Echiniscus-Bärtierchen in Trockenform.

Nur mit Hilfe der leichten Blaulastigkeit der LED zeigen die trockenen Hüllen diese schöne blaue Interferenz. Ohne die Interferenz könnte man die Bärtierchen als blasse Häutchen auf dunklem, unruhigem Mooshintergrund bei 10facher Vergrößerung niemals finden.

Damit wäre zum Thema Bärtierchen-Lupe eigentlich fast schon alles Wichtige gesagt. Trotzdem wollen wir uns in den nächsten Journalen zunächst noch eine mittelstarke (20x) Triplett-Lupe und später eine ultraseltene, extrem stark vergrößernde (40x) Triplett-Einschlaglupe mit einem winzigen, verkitteten Steinheil-Linsensystem anschauen.



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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach