[Titelfragment 1.1] [Titelfragment 1.2] Titelfragment 1.3]
[Titelfragment 2.1] [Titelfragment 2.2] [Titelfragment 2.3]
[Titelfragment 3.1] [Titelfragment 3.2] [Titelfragment 3.3]


Exkurs: das Coronavirus, die Blu-ray und das Lichtmikroskop (I)

Im letzten Journal hatten wir überlegt, ob man die Coronaviren theoretisch auch im Lichtmikroskop sehen könnte - und sei es nur als Punkte. Da ein häusliches Experimentieren mit diesen Viren nicht angeraten scheint, lag es nahe, nach Vergleichsobjekten gleicher Größe Ausschau zu halten. Im Wikipedia-Eintrag Coronaviridae werden typische Virionen-Größen von 120 bis 160 Nanometer genannt. Wie aus Abb. 1 ersichtlich würde somit ein Blu-ray Pit gut passen:


[  ]

Abb. 1: Die Computermedien CD, DVD und Blu-Ray im Feinstrukturvergleich.
Bildquelle: Wikimedia Commons (Cmglee - Own work, CC BY-SA 3.0, Link)

Ein Blick in die Fachliteratur stimmt nun allerdings nicht besonders optimistisch:
"Selbst mit einem Apochromaten 1,4 erhält man danach eine einigermaßen objektähnliche Darstellung nur dann, wenn bei günstigen Umständen die Struktur wenigstens 1 µm, bei weniger günstigen Umständen dagegen wenigstens 4 µm groß ist ..." [Krammer 1979]
Okay, und ein Blu-ray Pit hat, wie aus Abb. 1 ersichtlich, eine Breite von 130 nm, das wäre dann viel, viel weniger als Kurt Krammers Minimalforderung "1 µm"!



Aber, wie heißt es doch so schön: Probieren geht über Studieren! Nach einer umfassenden Marktrecherche entschlossen wir uns zur Beschaffung einer Blu-ray Disc ("The King Maker", für 2,21 EUR inklusive diverser Hüllen und Versand, ergibt somit knapp 50 Cent pro Nahkampfwaffe auf dem Cover ...). Als Antidot zu dem auf der Scheibe zelebrierten, idiotischen Gemetzel empfiehlt sich folgende, die Abspielbarkeit fürderhin-fürsorglich unterbindende Präparation: Mit Hilfe eines Tapeziermessers schneiden wir aus der Blu-ray ein rechteckiges Stück in Objektträgergröße heraus, und ziehen die 0,1 mm starke Schutzfolie von der Unterseite ab. Dann mikroskopieren wir altbacken, mit Weißlicht, ohne Scantechnik, STED oder andere verfeinernde Kunstgriffe. Hier das Ergebnis:


[ eine Blu-ray unter dem Mikroskop ]

Abb. 2: Lichtmikroskopisches Foto der Spuren (und Pits) auf einer Blu-ray Disc. Das rot markierte Fenster ist links um Faktor 2 nachvergrößert. Die kleinsten, hier noch erkennbaren Strukturen entsprechen in ihrer (scheinbaren) Größe näherungsweise dem Coronavirus!
Anmerkungen: Die 31 Spuren pro 10 µm passen zu den in Abb. 1 spezifierten Sollmaßen. Gearbeitet wurde mit einer - weißkittelmäßig betrachtet - nicht ganz koscheren Gerätezusammenstellung: Meopta DN 816 Mikroskopstativ mit LOMO HT-11 Trinokulartubus, LOMO 90x/N.A. 1,30 APO Ölimmersionsobjektiv; Kondensor: "Großer" Abbe'scher Beleuchtungsapparat von Meopta (dreilinsig, Apertur 1,4); Weißlicht-Niedervoltlampe von LOMO, Leitz Orthoplan 10x Okular als Projektiv, reichlich M42 Zwischenringe und obenauf eine SONY NEX-5N Digitalkamera. Mikroskopobjektiv und Kondensor waren ölimmergiert. Vollständig geöffnete Kondensorblende, extreme Schräglichtposition der Kondensorblende, Drehung der Kondensorblendenebene bis zum bestmöglichen (richtungsabhängigen) Bildergebnis. Es ist davon auszugehen, dass ein Mikroskopobjektiv mit noch höherer Apertur in Verbindung mit Blaulicht oder nahem UV eine noch bessere Detailauflösung liefern dürfte, das heißt, dass mit diesem Foto das Ende der klassisch-lichtmikroskopischen Fahnenstange vermutlich noch nicht erreicht ist.

Möchten Sie nun wissen, warum im Internet bislang anscheinend keine weiteren Fotos von den Blu-ray Pits zu finden sind, die mit Hilfe von ganz normaler Hellfeld-Durchlicht-Mikroskopoptik entstanden sind? Und warum so manche "Super resolution"-Publikationen behaupten, die Blu-ray Pits lägen unterhalb der lichtmikroskopischen Auflösungsgrenze? Und warum Abbe trotzdem recht hat? Schauen Sie einfach nächsten Monat wieder ins Bärtierchen-Journal!




Praktische Hinweise zur Mikroskopie von CD, DVD und Blu-ray
Sinnvollerweise beginne man mit einer CD und steigere sich dann über die DVD bis hin zur wirklich schwierigen Blu-ray. Alle folgenden Anmerkungen beziehen sich auf industriell geprägte Medien der jeweils gängigsten Handelsware: CD-ROM, DVD-ROM, Blu-ray Spielfilm-Disc - keine selbst beschreibbaren Medien.

Bei der CD (einfach) liegt, wie hier auf der Seite ganz oben zu sehen (Abb. 1), die Metallschicht mit den eingeprägten Pits direkt unter der CD-Oberseite (der Seite mit der Beschriftung). Man kann deshalb von der CD-Unterseite her kommend, durch 1,1 mm transparentes Polycarbonat auf die Pits fokussieren. Dies geht jedoch zu Lasten der Bildqualität: Alle Mikroskop-Objektive, sogar die glanzvollsten und schmerzlich teuersten, sind nicht für die Durchdringung von 1 mm starken Kunststoffschichten gerechnet. Und stark vergrößernde Objektive mit entsprechend kurzem Arbeitsabstand scheitern von vorherein an der relativ großen Entfernung zu den Pits. Alternativ besteht die Möglichkeit, von der CD-Oberseite her mit viel Licht durch den Aufdruck hindurch zu mikroskopieren.
Die CD-Pits sind unter günstigen Umständen bereits mit einem 10er Objektiv - gerade noch - erkennbar. Nicht alles, was wir am Mikroskop gerade noch erahnen können, ist allerdings auch hier im Bärtierchen-Journal adäquat bildlich darstellbar. Die folgende Abb. 3 zeigt deshalb ein, bereits mit massivem Hardware-Einsatz (90er N.A. 1,3 Ölimmersionsobjektiv) entstandenes Foto von einer CD:


[ Eine CD unter dem Mikroskop ]

Abb. 3: Zum Vergleich. Lichtmikroskopisches Foto der Pits auf einer Computer-CD - easy!
Selbst gesehen? Sie können sich das Mikroskop-"Seepferdchen" an den Laborkittel heften!


Bei der DVD (mittelschwer) liegen die Pits zwischen zwei 0,6 mm dicken Kunststoffschichten. Am einfachsten ist es, die Scheibe brachial zu zerstören und in den Bruchstücken nach der metallisierten Fläche zu suchen, die dann direkt anvisiert werden kann. Die DVD Pits erkennt man ab einem 40x/0,65 Objektiv. Wer sich Schwierigkeiten ersparen will, arbeitet jedoch von vornherein mit einem 0,95er Trockenobjektiv oder einer Ölimmersion.


[ Eine DVD unter dem Mikroskop ]

Abb. 4: Zum Vergleich. Lichtmikroskopisches Foto der Pits auf einer Computer-DVD.
Selbst gesehen? Bravo - Sie sind reif für das Mikroskop-"Leistungsschwimmer"-Abzeichen!


Bei der Blu-ray (lichtmikroskopisch anspruchsvoll!) haben wir immerhin nicht mit der experimentellen Zugänglichkeit zu kämpfen: Die Pits liegen auf der beschriftungsfreien Unterseite, und zwar unter einer 0,1 mm starken Folie, die sich leicht abziehen lässt. Okay, die Blu-ray ist dann natürlich kaputt. Und man lasse sich nicht zu vorschnellen Jubelschreien hinreißen, falls in der Nähe des zentralen Spindellochs Pits in DVD-Format zu erkennen sein sollten - das gilt nicht!

Haben Sie die Blu-ray Pits selbst an Ihrem Mikroskop gesehen? Ja? Dann dürfen Sie Urwaldschreie ausstoßen und mit beiden Fäusten auf Ihre stolzgeschwellte Brust klopfen - ja genau, wie Tarzan! Anschließend begeben Sie sich zurück auf "Start", legen 100 € Angeber-Strafe in die Gemeinschaftskasse und können neue mikroskopische Herausforderungen in Angriff nehmen ...



Literatur

Kurt Krammer: Zur Deutung der Diatomeen-Feinstrukturen im Lichtmikroskop.
Mikrokosmos 68 (1979) S. 66-71.


Hauptseite



© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach