Das Bärtierchen-Journal
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Was tun die Bärtierchen eigentlich im Winter?

Diese Frage ist nicht neu. R. Sydney Harper, ehrenwertes Mitglied der Royal Microscopical Society, hat sich schon vor mehr als 50 Jahren für dieses Problem interessiert und uns dankenswerterweise den folgenden Bericht hinterlassen (Übersetzung aus dem Englischen):

Vor ein paar Monaten wimmelte es in dem von mir untersuchten Vogelbad geradezu von Bärtierchen. Dann kam ein Frosteinbruch. Das Wasser in dem Bad fror durch und durch.
Als das Eis einige Zeit später wieder schmolz, untersuchte ich es wieder und fand die kleinen Tiere darin quicklebendig."

Damit haben wir auch schon die Antwort: Im Winter geht es ganz normal weiter. Von einem kleinen Frosterlebnis - d.h. einem vollständigen Durchkristallisieren (!) und Wiederauftauen (!) - läßt sich so ein Bärtierchen offensichtlich nicht besonders beeindrucken.
Für uns heißt das, daß die mikroskopischen Beobachtungen im Winter ganz normal weiterlaufen können.
Versuchen Sie es doch einmal selbst mit einem richtigen Schnee-Szenario!


[ schnee mit moos ]

Pflasterritzenmoos im Winter
mit (hier nicht sichtbaren) Bärtierchen und Schnee



Die Häutung

Es gibt noch viele weiter Gründe, warum die Tardigraden hart im Nehmen sein müssen. Zu den Extremfällen im Leben eines Bärtierchens zählen, neben den schon besprochenen Austrocknungen, die Häutungsphasen.
Auch wir Menschen würden uns manchmal wünschen, die eigene Haut verlassen zu dürfen. Ob wir nun Ärger im privaten Umfeld haben, ein klassisches "Consulting"-Unrecht am Arbeitsplatz erleiden, schlechte Zensuren in der Schule bekommen, oder auch ganz allgemeine Lebensmüdigkeit verspüren, völlig egal, wir können jedenfalls aus unserer Haut nicht heraus.
Ganz anders die Bärtierchen. Sie müssen sich sogar, ähnlich wie eine Schlange, von Zeit zu Zeit häuten. Unter anderem liegt es daran, daß die äußerste Teilschicht der Haut(*) nicht mitwachsen kann und deshalb irgendwann zu klein wird. Man hat schon früh erkannt, daß auf diese Weise aber nicht zuletzt auch unliebsame Hautbewohner wie Pilze und andere Parasiten, ja sogar lutschende Amöben einfach mit der alten Haut abgestreift werden - ätsch und weg.

Wir erkennen den Häutungsvorgang im Mikroskop schon in seiner Anfangsphase an den scheinbar unmotivierten, krampfhaften Bewegungen einzelner Tiere, wobei die teilweise losgelöste, alte Haut sichtbar wird. Im Gegensatz zu den übrigen Tardigraden fressen die sich häutenden Tiere nicht und sie klammern sich auch nicht an Moospflänzchen oder Erklümpchen.


[ Bärtierchen während der Häutung ]

Bärtierchen während der Häutung. Das Tier hat den Kopf stark eingezogen, wodurch die schon lose Hauthülle mit der ursprünglichen Mundöffnung gut zu erkennen ist. Länge des Tiers ca. 300 µm.


[ Bärtierchen während der Häutung ]

Bärtierchen während der Häutung. Erste Loslösung der alten Haut im Kopfbereich.
Typischer Vertreter der Gattung  Macrobiotus


Die Tardigraden müssen innerhalb ihrer alten Haut kräftig strampeln, damit sich die Verbindungen zu ihrer Muskulatur und zur neu gebildeten Haut lösen.


[ Bärtierchen während der Häutung ]

Bärtierchen während der Häutung. Die Bemühungen, die alte Haut abzustreifen, sind auch im Standbild aufgrund der Bewegungsunschärfe intuitiv erkennbar. Länge des Tiers ca. 300 µm.


Die alte Haut ist meist glasklar, sieht irgendwie einer Cellophanhülle ähnlich, ist nicht flexibel und neigt zum Knittern.


[ Bärtierchen während der Häutung ]

Bärtierchen während der Häutung.
Hinterleib. Alte und neu gebildete Krallen
des vierten Beinpaares sind hier gleichzeitig zu sehen.
Typische Macrobiotus-Krallenform.


[ Bärtierchen während der Häutung ]

Bärtierchen während der Häutung.
Kopfbereich: Cellophanartige Konsistenz der alten Haut.

Auch hier ist die Dynamik durch das heftige Zappeln des Tiers zu spüren.
Links oben im Bild zeichen sich, trotz der Bewegungsunschärfe, noch die beiden Stilette ab.


In der nächsten Folge werden wir sehen, wie es bei der Häutung weitergeht. Nicht zuletzt verrät die abgestreifte, alte Cuticula einige anatomische Details der Tardigraden, welche wir ansonsten bei der Lebendbetrachtung nie erkennen könnten.



(*) Haut ist hier stets im Sinne von "Cuticula" (Häutchen), d.h. einer äußeren, extrem dünnen Teilschicht des lebendigen Gesamtsystems "Haut" zu verstehen.


Literatur:

R. Sydney Harper: The Tardigrada. The Microscope, 9 (1952) Heft 3 (Sept./Okt.).
Der Originaltext lautet: "A few month ago the water in the bird-bath was teeming with these organisms, and then a frost came and the water was frozen solid. On thawing, I examined the water again, and found that these little animals were still alive and active".
[Freundlicher Hinweis von Herrn B. Krause, U.K.]


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© Text und Fotos von  Martin Mach