Das Bärtierchen-Journal
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Lieber alleine oder in bizarrer Gesellschaft ?

Lange hat man sich bemüht, die Bärtierchen als Gruppe anständig zu benennen und brav in der etablierten, biologischen Systematik unterzubringen.

Der Pastor Goeze hatte seine Entdeckung spontan und auf gut Deutsch "Kleiner Wasserbär" getauft. Die erste lateinische, quasi internationale Bezeichnung "Tardigrada" (Langsamgeher) führte der berühmte Spallanzani im Jahr 1776 ein, d.h. schon drei Jahre nach der Entdeckung durch Goeze 1773. Welche Verwirrung er damit anrichtete, sei im Folgenden kurz geschildert.

Wenn wir heute im Register eines aktuellen Zoologie-Lehrbuches, z.B. bei Storch/Welsch, den Begriff "Tardigrada" nachschlagen, finden wir typischerweise gleich   zwei   Seitenverweise.
Einer führt uns wie erwartet zu den Bärtierchen und der zweite
- raten Sie mal - zu den Faultieren (!), die ebenfalls mit dem menschlichen Etikett "Tardigrada" leben müssen.
Es gelang übrigens noch im selben Jahrhundert, aus der bislang nur einseitigen Doppeldeutigkeit eine wechselseitige zu erzeugen.
Donndorf übersetzte nämlich 1795 das französische Wort für Bärtierchen "le tardigrade" in Senebiers Lehrbuch nach deutsch zu "Faulthierchen"!

Immerhin hat sich heute international für die Bärtierchen die Bezeichnung "Tardigrada" durchgesetzt. Anderseits hatte die Vielfalt der vorher üblichen Bezeichnungen durchaus ihren Reiz:

Wasserbär -- Brucolino (italienisch "kleine Raupe") -- Acarus ursellus ("Bärenmilbe") -- das Faulthierchen (hatten wir schon) -- Urslet ("Bärlein") -- Systolides marcheurs -- Systolides sucteurs-- Blaracken - Moss piglets ("Moosschweinchen") -- Xenomorphida ----Trionychicum ursinum -- Arctisken -- Arctisconia --Water-sloths -- Bärwürmer usw.


Nun hatte man also einen Namen. Es galt noch einen ordentlichen Platz im Tierreich zu finden. Immer wieder wurden die Bärtierchen in der Systematik mit anderen Tieren verbändelt. Bei  Leunis  stehen sie unter Arachnoidea (Spinnenthiere), und dort wiederum in der Ordnung "Krustenspinnen" .
Die Bärtierchen konnte man natürlich nicht nach ihrer Meinung fragen. Aber würden Sie ausgerechnet ausschließlich mit DIESEM Tier (siehe unten) in einer Box untergebracht sein wollen?


[ Asselspinne; aus dem

Nach Leunis (1861) erster Vertreter der Ordnung "Krustenspinnen": Die Spindelassel.



[ Wasserbären-Thierchen, aus dem

Nach Leunis (1861) zweiter Vertreter der Ordnung "Krustenspinnen": Das Schildkrötenartige Wasserbär-Thierchen.


Gelinde gesagt bizarr mutet auch die weitere Verwandschaft innerhalb der Gruppe der Spinnentiere an: Zur Großfamilie nach Leunis gehörten unter anderem:


[ Bärtierchen-Verwandter? ]

"Bärtierchen-Verwandter" (aus Leunis, 1861):
Europäischer Scorpion


[ Bärtierchen-Verwandter? ]

"Bärtierchen-Verwandter" (aus Leunis, 1861):
Gemeiner Bücherscorpion


[ Bärtierchen-Verwandter? ]

"Bärtierchen-Verwandter" (aus Leunis, 1861):
Tarantelspinne


[ Bärtierchen-Verwandter? ]

"Bärtierchen-Verwandter" (aus Leunis, 1861):
Cochenille-Milbe


[ Bärtierchen-Verwandter? ]

"Bärtierchen-Verwandter" (aus Leunis, 1861):
Käsemilbe


[ Bärtierchen-Verwandter? ]

"Bärtierchen-Verwandter" (aus Leunis, 1861):
Krätzmilbe des Menschen


[ Bärtierchen-Verwandter? ]

"Bärtierchen-Verwandter" (aus Leunis, 1861):
(Haar-)Balgmilbe des Menschen


[ Bärtierchen-Verwandter? ]

"Bärtierchen-Verwandter" (aus Leunis, 1861):
Gemeine Vogelmilbe


[ Bärtierchen-Verwandter? ]

"Bärtierchen-Verwandter" (aus Leunis, 1861):
Holzbock


Heute gönnt man den Bärtierchen einen eigenen Stamm, wie auch uns Wirbeltieren - und das ist wohl auch besser so.



Literatur

Johannes Leunis: Schul-Naturgeschichte. Eine analytische Darstellung der drei Naturreiche, zum Selbstbestimmen der Naturkörper. Vierte Auflage, Erster Theil, S. 247.
Hannover, Hahn'sche Hofbuchhandlung 1861.

Ernst Marcus: Tardigrada. S. 1. [Namenssynonyme] Berlin 1936.

J. Senebier: Über die vornehmsten mikroskopischen Entdeckungen in den drey Naturreichen. Übersetzt von Johann August Donndorf. Leipzig 1795.

Lazzaro Spallanzani: Opuscoli di Fisica animale e vegetabile, Bd. 2. Modena 1776.

Volker Storch, Ulrich Welsch: Systematische Zoologie. 5. Auflage. Stuttgart 1997.


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© Text und Fotos von  Martin Mach