Maritime Bärtierchen (V) - der Batillipesfuß Neulich gab es hier in München Blitzeis: ein wenig Regen fiel auf den
eiskalten Boden und Alle rutschten ganz erbärmlich, egal ob zu Fuß, auf dem Fahrrad,
im Auto oder den allseits beliebten paramilitärischen Privat-Panzerkreuzern. |
Batillipes sp.-Bärtierchen, Bein mit sechs Zehen, an deren Enden sich die sechs winzigen Haftlappen befinden. |
Wir greifen zur Verdeutlichung zunächst auf ein rein visuelles, vereinfachtes Modellsystem zurück, welches lediglich diejenigen Strukturelemente enthält, deren Existenz wir aufgrund von Videoaufnahmen aus verschiedenen Betrachtungswinkeln einigermaßen sicher annehmen können: Ein starrer und fester Zehenstil, der mit seinem Ende, ähnlich wie ein Blattstiel exzentrisch und mit variablem Ansatzwinkel am Rand des Haftlappens ansetzt. Der Haftlappen selbst erscheint extrem dünn und elastisch. Wohl auch deshalb trägt er eine deutlich erkennbare, vermutlich verstärkende Mittelrippe - ansonsten hätte er die Strukturfestigkeit eines Wischlappens und das Bärtierchen will natürlich nicht Sandkörnchen putzen, sondern effizient laufen. |
Batillipes Fuß, schematisch. Hier wird besser klar, warum der Entdecker, Prof. Ferdinand Richters, seine neue Tardigradengattung Batillipes (d.h. "Schaufelfuß") genannt hat. |
Ringförmige Saugnapfstrukturen sind, falls doch vorhanden, zumindest nicht einfach erkennbar. Wir sollten uns deshalb fragen, ob es vielleicht auch ohne gehen könnte. Hierzu verwenden wir ein anderes, noch weiter vereinfachendes physikalisches Modell, an dem wir unterschiedliche Konzepte experimentell überprüfen können, und zwar so: |
Einfache Federwaage, auch zur Messung von Kräften geeignet. |
Demonstration der Adhäsion dank eines dünnen Wasserfilms: Deckglas mit angeklebtem roten Greiferstift, auf nassem Objektträger anliegend. Mittels Federwaage versuchen wir, das Deckglas nach oben abzuziehen und können die zum Abreißen erforderliche Kraft messen. |
Wenn wir mit der Federwaage am roten Stift
ansetzen und lotrecht nach oben ziehen, stellen wir fest, daß Objektträger
und Deckglas dank des dünnen Wasserfilms sehr fest aneinander haften.
Die Alltagserfahrung am Mikroskop hat uns ohnehin gelehrt, daß eine
vergleichbare Adhäsion im Trockenzustand nicht zu erreichen ist und daß
andererseits mit steigender Dicke des Wasserfilms die Verbindung schnell wieder
schwächer wird. Ideale Adhäsion bietet deshalb nur ein flächiger,
einheitlich dünner Wasserfilm. Wir können mutmaßen, daß
unter den extrem dünnen, gut anliegenden und flexiblen Haftlappen des Bärtierchens
vielleicht auch immer ein derartiger, optimal dünner Wasserfilm zu finden sein wird. |
Natürlich haben die Bärtierchen schon rein statistisch betrachtet
deutlich bessere Chancen als Homo sapiens : mit Schuhen kann der seine mickrigen zehn Zehen kaum mehr
wirkungsvoll einsetzen und bringt es deshalb gerade mal auf zwei Haftlappen, im Auto auf vier. Da ist
Batillipes mit 8 Beinen zu je 6 Haftlappen natürlich deutlich besser dran. |
Im extrem schrägen Seitenlicht sind unter günstigen Bedingungen feine, geradlinige Sekretspuren erkennbar, welche von den Haftlappen wegführen und Batillipes beim Naßkornklettern seine enorme Sicherheit verschaffen. Klebstoff wie bei Spiderman - aber echt. |
Schon der berühmte Bärtierchenforscher Ernst Marcus vermutete eine Klebstoffwirkung. Er beobachtete, daß die Bärtierchen häufig kleine Partikel an Fäden hinter sich herzogen und bei der isolierten Betrachtung auf dem Objektträger zunehmend verklebten. Marcus verstand auch, wohl als erster, daß Batillipes die umgebenden Sandkörnchen benutzt um seinen Körper kontinuierlich vom Klebstoff zu befreien. Das scheinbar unsinnige und und mutwillige Rammen von Sandkörnchen per Kopfstoß, welches wir schon auf einem früheren Video gesehen haben, hat deshalb eine reinigende Funktion - das Bärtierchen entsorgt auf diese Weise überschüssigen Unterwasser-Powerkleber. Das Sandlückensystem dient demnach nicht nur als Versteck, es hat gleichzeitig die Funktion eines Antiklebstoffscheuermittels. |
© Text und Fotos von Martin Mach |