Lupen für Fortgeschrittene (V): |
Abb. 1: Titel und Beispielseite aus dem Teil III des Fremdsprachlichen Optischen Wörterbuchs - Lupen und Lesegläser (Weimar 1927). Mit angemessener Genugtuung registrieren wir, dass hier kultische Begriffe wie die "stark vergrössernde Lupe" und "aplanatische Lupen nach Steinheil" zur Übersetzung ins Englische, Französische und Spanische auserkoren wurden! |
Wegen der genannten Literaturquellenschwäche erscheint es häufig schwierig, bestimmten Lupen auch nur ein ungefähres Herstellungsdatum zuzuschreiben. Und selbst bei besonders bemerkenswerten und edlen Instrumenten fehlen gelegentlich die Herstellersignaturen. Bereits vor 2 Jahren hatten wir hier eine extrem hoch vergrößernde Einschlaglupe vorgestellt, konnten jedoch damals in Bezug auf den Hersteller keinerlei Angaben machen. Hier, zur Erinnerung, nochmals die damalige Text- und Bildbeschreibung des Geräts: |
Abb. 2: Ultrakompakte, extrem hoch vergrößernde
Einschlaglupe. Keine Herstellersignatur. Auf der Basis eigener Vergleiche wurde eine
imposante Vergrößerungswirkung von ca. 40 bis 45 ermittelt. Dies stimmt mit einer unten
auf dem Optikkopf eingepunzten Ziffer "6" überein:
Eine Brennweite von 6 mm entspräche ja - übereinstimmend - einer 42fachen Vergrößerung.
Vermutlich in handwerklicher Kleinserie, und wohl in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts gefertigt.
Gewicht 13,4 Gramm. Gehäusematerial: Messing, teils geschwärzt, teils vernickelt. |
Abb. 3: Ultrakompakte, extrem hoch vergrößernde Einschlaglupe. Detailansicht, von unten auf das winzige Optikgehäuse. Die an der Unterseite der Fassung eingepunzte "6" (oder womöglich doch eine "9"?) ist auf dem Foto nur andeutungsweise erkennbar. |
Man beachte die kegelige Linsenfassung, welche sich objektseitig
auf 6 mm Durchmesser verjüngt und am äußersten Ende zusätzlich auf nur noch 5 mm
Durchmesser abgefast wurde. Dank dieser vorteilhaften Geometrie ist immer noch
ein seitlich-schräger Auflicht-Einfall möglich - und das ansonsten bei
starker Lupenvergrößerung drohende, unfreiwillig runinöse "Dunkelfeld" wird wirkungsvoll verhindert.
In der Praxis braucht man beim Feldeinsatz dieser auf Extremleistung
hin optimierten Lupe natürlich trotzdem noch gute Nerven und eine ruhige Hand.
Die bildmittige Auflösung ist dann allerdings absolut traumhaft - wohlgemerkt ohne jegliche
optische Vergütung der Linsenflächen (die gab es zur Herstellungszeit noch nicht!).
Allem Anschein nach ist die Bildqualität nicht nur dem soliden Triplett-Linsensystem
geschuldet (vgl. Abb. 4), sondern auch diversen zusätzlichen Kunstgriffen zur Vermeidung
von Seitenlicht und vagabundierendem Streulicht zu verdanken: Die geschwärzte,
irisgroß plane Oberseite der Linsenfassung und die tief eingesenkte Optik
sind eindrucksvoller Beleg für die Tatsache, dass die Konstrukteure die praktische
Nutzbarkeit unter Feldbedingungen noch nicht aus den Augen verloren hatten.
Mit Blick auf heutige, hoch vergrößernde Einschlaglupen ist zu konstatieren,
dass die Preise zwar satt angezogen haben, die Fassungen jedoch zunehmend praxisfremd
ausfallen: Selbst in den höheren Preisklassen finden sich noch grobschlächtige,
verchromte Schraubringe als Linsenhalterungen, wegen ihrer schnöden Zylinderform
sinnlos lichtblockierende Optikköpfe sowie durch innere Verchromung (!)
in trügerischer Weise "veredelte" Lichtwege.
Wer bereits früher an der Sinnhaftigkeit hoher Vergrößerungen in
Einschlaglupen zweifelte, kann sich angesichts dieser modernen Produkte in wohliger Weise
bestätigt fühlen. |
Abb. 4: Ultrakompakte, extrem hoch vergrößernde
Einschlaglupe - Optik-Innenleben. Die hier zur Veranschaulichung ausgebaute Optik hat einen
Maximaldurchmesser von 5 Millimetern (wird in der Lupe auf knapp 3 mm abgeblendet).
Beim näheren Hinsehen entpuppt sie sich als klassisches, sauber verkittetes
Steinheil-Triplett in beeindruckender handwerklicher Miniaturisierung. Randgeschwärzt, Ehrensache. |
Inzwischen konnten wir die hier gezeigte Hochleistungslupe
in einem alten Katalog des noch heute in Wien existierenden Spezialgeschäfts für
Entomologie Winkler & Wagner ausfindig machen (siehe Literatur; immerhin ein
Händlerbezug, wenn auch leider keine Herstellersignatur). |
Abb. 5: Foto der Jahreszahl auf einer 1 Cent Münze, fotografiert durch die Winkler & Wagner Einschlaglupe. Übersichtsaufnahme, Sehfeldbreite ca. 5 mm. |
So wie im obigen Foto gezeigt erscheint das Blickfeld auch visuell, wenn man mit der eigenen Iris furchtbar nahe an die Lupenblende heranrückt. Dies führt zu einem subjektiv extrem weitwinkligen Bildfeld (5 mm!), das allerdings nur im Zentrum scharf erscheint. In der Praxis profitiert der Nutzer durchaus vom großen Sehfeld, weil es eben sehr viel leichter fällt, das interessierende mikroskopische Detail überhaupt zu finden. Hierdurch unterscheidet sich die Winkler & Wagner Lupe auch markant von den aktuellen Mini-Mikroskopen, die bezeichnenderweise regelmäßig an völlig planen Druckprodukten getestet werden. Bei der Winkler & Wagner Lupe gelingt es in der Praxis sehr viel schneller, das Spiel mit Schärfe und Licht den Erfordernissen eines räumlichen Objektes anzupassen: Man kippt die Lupe dank der schlanken, sich konisch verjüngenden Fassung in die optimale Betrachtungsgeometrie, wohlgemerkt mit einem möglichst wirkungsvollen Seitenlicht. Erst dann kommt es zum "Aha"-Effekt: Der Betrachter wird mit einem förmlich einrastenden Fokus-Plopp belohnt und das jeweilige Objekt erscheint in der Bildfeldmitte plötzlich knackscharf - solange, bis man es dann wieder zitterbedingt verloren hat. Dieser Vorgang erfordert eine ruhige Hand und Konzentration. Er erklärt letzten Endes auch, warum heutige Nutzer sich mit einem Stereomikroskop sehr viel leichter tun. Und, liebe Senioren, Brillenträger sind auch in dieser Situation klar im Nachteil, leider ... |
Abb. 6: Foto der Jahreszahl auf einer 1 Cent Münze, fotografiert durch die Winkler & Wagner Lupe. Konzentration auf die Bildmitte. Hier werden bereits einige Oberflächendetails auf der Jahreszahl erkennbar, beispielsweise die beiden unterschiedlich großen Ausbrüche auf Oberseite der Null sowie die feinen Kratzer auf der Eins und der Fünf. Auch in diesem Fall gilt, dass der visuelle Eindruck besser ist als das (technisch nicht einfach aufzunehmende) Foto. Als nicht wegzudiskutieren verbleibt allerdings ein, bereits in Nähe der Bildmitte einsetzender, drastischer Abfall der Bildschärfe in Richtung Rand. Bildfeldbreite knapp 2,5 mm. |
Hier nochmals zum Vergleich dieselbe Jahreszahl, wie sie in einem sehr großen und schweren, aber sehr guten "Leitz Großfeld-Stereomikroskop TS" erscheint: |
Abb. 7: Zum Vergleich: Das oben gezeigte Detail im Leitz Großfeld-Stereomikroskop TS, durch das 4x Objektiv und 16x Okular fotografiert (vgl. letztes Journal mit einer Geräte-Kurzbeschreibung). Das Foto ist noch ein wenig herausvergrößert, zeigt nur ca. 50% der tatsächlich wahrnehmbaren Bildbreite. Es kann den mit zwei Augen wahrnehmbaren, wunderschön räumlichem Bildeindruck naturgemäß nur unzureichend dokumentieren. Deutlich wird jedoch trotzdem, dass man hier den Zustand der Jahreszahl auf dem 1 Centstück bereits sehr plastisch wahrnehmen und eingehend studieren kann. Wie bereits früher erwähnt, entspricht die "1" der Jahreszahl von der Größe her (0,65 mm hoch) einem typischen terrestrischen Bärtierchen. |
Wie man sieht, schlägt sich die Winkler & Wagner
Lupe hier wacker, besser als das im letzten Journal vorgestellte Octoscop.
Hat man erst einmal den Bogen heraus, lässt sich auch so manche mikroskopische Beschriftung
auf der Siliciumseele historischer Computerchips noch freihändig entziffern.
Nicht ohne gehöriges Erstaunen stellten wir bei dieser Anwendung fest, dass die Auflösung
der Winzlupe schon nahe an das grundsolide MBS-10 Stereomikroskop herankommt.
Und eingestanden, liebe Leitz-Fans, das Leitz-Großfeld-Stereomikroskop TS ist noch eine Stufe besser.
Mit der Winkler & Wagner Lupe kommt man jedoch bereits sehr weit ins feine Detail - wir wagen zu sagen,
weiter als mit jeder anderen heute käuflichen Einschlaglupe. |
Literatur
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© Text, Fotos und Filme von Martin Mach |