[Titelfragment 1.1] [Titelfragment 1.2] Titelfragment 1.3]
[Titelfragment 2.1] [Titelfragment 2.2] [Titelfragment 2.3]
[Titelfragment 3.1] [Titelfragment 3.2] [Titelfragment 3.3]


In den letzten drei Ausgaben des Journals haben wir uns ausgiebig mit den bizarren Eigenschaften des gehörnten Bärtierchens  Cornechiniscus cornutus befaßt. Manchen Lesern war es vielleicht schon ein wenig zu speziell. Auch hat nicht jeder eine Tüte mit   Cornechiniscus cornutus-besetztem Moos in der Schublade, an Hand derer er die Untersuchungen selbst nachvollziehen könnte.

Wir wollen deshalb heute mit einem neuen, allgemein interessierenden Themenkomplex beginnen. Bereits früher haben wir erfahren, daß wir die Bärtierchen in  trockenem  Zustand fast beliebig lange lagern und dann bei Bedarf, einfach mit Hilfe von ein paar Tropfen Wasser, jederzeit wieder reanimieren können. Wenn Sie wollen, werfen Sie noch einmal einen Blick auf die   Fotoserie  , welche zeigt wie ein Bärtierchen nach dem Wässern wieder zum Leben erwacht.

Leider sind die Bärtierchen, hat man sie erst einmal wiederbelebt, im Hinblick auf die Wasserqualität recht anspruchsvoll. Wir wollen ihnen ja auch in Gefangenschaft gute Lebensbedingungen bieten. Dazu benötigen wir vor allen Dingen ein geeignetes Mikroaquarium.

In Anbetracht des meist kränkelnden oder nicht existenten lokalen Laborwarenhandels steigen wir gleich in die Zeitmaschine und lesen in der Fachliteratur unserer Urgroßväter unter "Mikroskop" und "Aquarium" nach. So eine Recherche ist, ganz nebenbei bemerkt, auch ein ästhetischer Genuß. In welchem zeitgenössischen Fachbuch finden wir Titelblätter, welche an das hier gleich unten gezeigte auch nur entfernt herankommen?


[ Titelblatt von Hoggs: The Microscope ]

Titelblatt eines angelsächsischen Standardwerkes für die Mikroskopie.
Es handelt sich um die die erste Auflage von Jabez Hoggs "The Microscope" von 1854. Auf einem Denkmalsockel präsentieren sich (links) das damals moderne "kleine" Mikroskop der weltberühmten Firma Ross und (rechts) ein älteres "Screw Barrel"-Mikroskop aus dem 18. Jahrhundert.


Es gibt in diesem und anderen Werken aus dem 19. Jahrhundert eine Fülle von Vorschlägen für Mikroaquarien, welche wir im Hinblick auf unser spezielles Bärtierchen-Mikroaquarium untersuchen werden. Manches mag auf den ersten Blick rührend-naiv erscheinen. Lassen Sie sich jedoch nicht täuschen. Die Konstruktionen nehmen, wenn Sie dem Text folgen, schnell an Raffinesse zu.


[ Aquarienmikroskop ]

Aquarienmikroskop, um 1860.
Die hier gezeigte Darstellung traf offensichtlich den Geschmack des Publikums und wurde deshalb auch später immer wieder gerne reproduziert.


Die obige Abbildung zeigt ein einfaches Mikroskop, welches, geschützt von einer Art Reagensglas in ein großes Aquarium taucht. Durch die laufkatzenartige Vorrichtung läßt sich das Mikroskop an fast beliebiger Stelle positionieren.
Die Vorteile einer derart großen Wassermenge sind uns bekannt: Das üppige Wasservolumen sorgt für stabile physikalisch-chemische Randbedingungen. Auch kann das Aquarium nicht so schnell austrocknen wie beispielsweise ein kleiner Wassertropfen. Andererseits haben wir alle Bandscheiben und es braucht nicht viel Phantasie, wie man sich nach einer Stunde Aquariumbuckeln über der oben gezeigten Vorrichtung fühlen wird. Auch werden uns unsere Bärtierchen über kurz oder lang aus dem Blickfeld laufen und es wird mit Sicherheit schwierig sein, ein und dasselbe Tier über längere Zeit hinweg zu beobachten geschweige denn wiederzufinden.


Schon sehr früh stellte man Versuche an, die Dimensionen von Aquarien den mikroskopischen Erfordernissen anzupassen, wie das folgende, leicht zu durchmusternde "Hochformataquarium" zeigt.


[ mikroskop und kleinaquarium ]

Hochformataquarium zur Betrachtung von Kleinlebewesen in Wasser bei ca. 10facher Vergrößerung.
Man beachte den Zahntrieb links, welcher die Schärfeebene fixieren hilft sowie das panthographenartige Positioniergestänge.


Die nächstkleinere Aquariengröße, wie sie z.B. auch die englische Amateurmikroskopikerin, Astronomin, Ehefrau und Mutter  The Honourable Mrs. Ward  (vgl. Bärtierchen-Journal vom April 2001  Mrs. Wards Bärtierchen )  propagierte, läßt sich schon etwas bequemer, quasi über ein Sofakissen hinweg beobachten.


[ mikroskop und kleinaquarium ]

"Arrangement of Microscope for viewing minute Water Animals" (nach WARD)


Mit diesem Modell waren aber die Möglichkeiten der Mrs. Ward noch lange nicht erschöpft. Wie viele andere Amateurmikroskopiker hatte sie eine sogenannte Live-Box, welche sie auch für die Beobachtung der Wasserbären einsetzte.


[ live-box mikroaquarium ]

Schematische Darstellung einer sogenannten Live-Box (Draufsicht und Querschnitt).

Im Querschnitt ist erkennbar, wie der, das (auswechselbare) Deckglas fassende, kurze Metallzylinder in die ebenfalls zylindrische Aufnahme auf der Oberseite des Objektträgers gesteckt wird, wodurch das Volumen zwischen Boden- und Deckglas beliebig eingeregelt werden kann.


[ ross mikroskop ]

Mikroskop der Fa. Ross (ca. 1850) mit Zubehör.

Ganz unten links unten im Bild befindet sich die unvermeidliche Live-Box.

Ein weiteres, leider ebenfalls in Vergessenheit geratenes, nützliches Zubehör ist die lanzettartige Objektklammer (Bildmitte unten), welche es erlaubt, einen kleinen Gegenstand, wie z.B. ein kleines Blatt, unter dem Mikroskop ähnlich wie mit einem Grillspieß zu drehen und so bequem von allen Seiten zu betrachten.


Natürlich kann man in Live-Boxen mit größeren Wasservolumina nur schwach vergrößernde Objektive einsetzen, welche einen großen Arbeitsabstand zulassen.
Findige Mikroskopiker haben für stärkere Vergrößerungen noch kleinere Mikroaquarien gebaut. Ein ganz einfaches Modell, welches man mit einem Objektträger und einem dünnen Ring aus fast beliebigem Material selbst zusammenkleben kann, ist unten gezeigt:


[ einfaches mikroaquarium ]

Einfaches Mikroaquarium. Sie können eine Scheibe von einem Plexiglasrohr absägen, einen Dichtungsring aufkleben, ja sogar einen zu einem Kreis gelegten Faden als Seitenwand benutzen. Als Verschluß kann oben ein Deckglas aufgelegt werden.


Wer ein noch kleineres Flüssigkeitsvolumen und stärkere Vergrößerungen braucht, kann auch das Prinzip des hängenden Tropfens einsetzen:


[ mikroaquarium: hängender Tropfen ]

Der am Deckglas über dem Hohlschliff-Objektträger hängende Tropfen erlaubt die Betrachtung von Kleinstorganismen auch ohne Abstandshalter und ist einfach zu handhaben. Die Organismen haben Platz und werden nicht zerdrückt.
Unsere Urgroßväter hatten aber noch eine Palette weiterer Möglichkeiten, wie z.B. den Einsatz sogenannter Kompressorien, mit Hilfe derer sich die Dicke des zu untersuchenden Wasserfilmes stufenlos einstellen läßt.


[ kompressorium ]

Einfaches Kompressorium. Mit Hilfe der Schraube kann der Abstand zwischen dem Boden- und dem Deckglas eingestellt werden.

Unten: Komplexeres Kompressorium. Die Stellschraube links im Bild arbeitet gegen die Feder R und erlaubt so eine präzise Einstellung des Deckglasabstandes.

[ kompressorium ]


Wir fassen zusammen: Es gibt für die Handhabung unterschiedlich großer Wasservolumina viele Lösungsansätze. In der Praxis merken wir allerdings schnell, daß die Auswahl eines geeigneten Mikroaquariums eine Reihe zusätzlicher Überlegungen erfordert. Nicht zuletzt spielen natürlich auch die Einstellung und Sicherung der Wasserqualität eine wichtige Rolle. In manchen Aquarien setzen sich schnell kleine Schmutzpartikel in den Ecken ab, bei anderen schleicht sich beim Schließen eine störende Luftblase ein, wiederum andere trocknen zu schnell aus oder müssen auf umständliche Weise abgedichtet werden. Manchmal beschlagen die Glasflächen von innen - Sie sehen, an Problemen besteht kein Mangel und wir können nicht alle in einer einzelnen Ausgabe des Bärtierchen-Journals erschöpfend behandeln.

Einen Großteil der oben genannten Wasservolumen-Kontrollprobleme umgeht jedenfalls ein wahrhaft genialisch konstruiertes Mikroaquarium, der sogenannte  Kapillarkäfig   (Kapillartisch), welchen ein gewisser Mr. Varley angeblich schon 1831 erfunden hat:


[ kompressorium ]


Das Gerät ist so konstruiert, daß im Inneren eine Wassersäule steht, welche oben und unten von Glas, seitlich jedoch nur von Luft begrenzt wird. Das Volumen von vielleicht einem halben Kubikzentimeter könnte den Bärtierchen als Lebensraum ausreichen. Beim Verschließen des Gefäßes hängt sich der eingeschlossene Tropfen gleichmäßig zwischen Boden- und Deckglas ein. Die Konstruktion ist extrem leicht zu reinigen, weil der Wassertropfen nur auf den planen Glasflächen aufliegt. Wegen der hermetisch geschlossen Außenbox verdunstet kein Wasser und die bei anderen Systemen häufig erforderliche Lagerung in einer feuchten Kammer erübrigt sich. Beim Öffnen des Deckels, um z.B. einen Teil des Wassers auszutauschen, bleibt der Wassertropfen gutmütig in der Mitte der Bodenplatte liegen. Die im Tropfen wohnenden Organismen werden nicht in die Ecken geschwemmt und überstehen den Wartungseingriff in ihre Welt problemlos.

Vermutlich werden sich die Leserinnen und Leser nun fragen, wo man ein derartiges Gerät heute noch kaufen kann? Die Redaktion des Bärtierchen-Journals hat den Bedarf bei den Amateuren erkannt, jedoch, wie Sie sich vorstellen können mit der ganz normalen redaktionellen Arbeit schon alle Hände voll zu tun. Deshalb mußte die gesamte Projektsteuerung im Hinblick auf die Entwicklung eines neuen Mikroaquariums, wie man heute sagt, outgesourct*, d.h. außer Haus gegeben werden. Ein Consulting-Spezialist verfaßte binnen kurzem ein Pflichtenheft für das Technik-Team des Bärtierchen-Journals.
Sie können sich sicherlich vorstellen, daß die Anforderungen erheblich waren. Wir zitieren aus dem Pflichtenheft:

Das von Ihnen zeitnah zu entwickelnde Mikroaquarium für die mikroskopische Betrachtung von Bärtierchen bei bis zu 100facher Vergrößerung hat folgenden Anforderungen zu genügen:
a) Es soll ein kleines Flüssigkeitsvolumen in Form einer Säule halten, welche oben und unten von transparentem Material und seitlich nur von Luft begrenzt ist
b) Es soll leicht zu befüllen und leicht zu reinigen sein sowie absolut dicht schließen
c) Die eingesetzten Materialien müssen den optischen Anforderungen der Mikroskopie genügen sowie bruch- und kratzfest sein
d) Der Endverbraucherpreis darf 15 Cent nicht übersteigen.

Das technische Entwicklungsteam hat der Redaktion mittlerweile signalisiert, daß es die Aufgabe gelöst hat.

Sie wollen wissen wie?

Lesen Sie es ganz einfach nach - hier im Bärtierchen-Journal ,
in der nächsten Ausgabe, Ende November.

Und noch eine Bitte zum Schluß: Es ist keine besondere mikroskopische Glanzleistung, wenn wir die Kleintiere unter einem zu streng eingestellten Kompressorium oder einem Deckglas ohne Abstandshalter allmählich zermatschen.
Die Kräfteverhältnisse sind nun wirklich verdammt ungleich, wir Menschen haben schließlich eine vielmillionenfach größere Körpermasse und sollten deshalb gerade auch den ganz Kleinen gegenüber gutmütig auftreten. Stellen Sie sich einfach probehalber mal einen Rollentausch auf dem Wege der Seelenwanderung vor ...


(*) neudeutsch, sprich "aut-geso-urzt"

Literatur:

In der traditionsreichen Zeitschrift MIKROKOSMOS finden wir z.B. auch die richtungsweisenden und lehrreichen Arbeiten von Walter Neubert zur Langzeitbeobachtung von Mikroorganismen, welche praktisch immer den Einsatz entsprechender Mikroaquarien erfordern:

Walter Neubert: Langzeitbeobachtung von Mikroorganismen. Ein praktisches Mikroaquarium. Mikrokosmos 80 (1991) S. 228 - 231.
(Anmerkung der Redaktion: In diesem Artikel wird ein einfach herzustellendes Mikroaquarium beschrieben, in welchem kleine Tesafilmstückchen als Abstandshalter zwischen Deckglas und Objektträger fungieren. Dieses Mikroaquarium wird in einer feuchten Kammer vor Austrockung geschützt).

Walter Neubert: Geburt, Leben und Tod eines Rädertierchens. Mikrokosmos 83 (1994) S. 17 - 30 (Anmerkung der Redaktion: Der Autor beschreibt hier, wie er Rädertierchen über Monate hinweg in seinem Mikroaquarium am Leben hält und so den Lebenszyklus verfolgen kann).

Weitere empfohlene Literatur:
William von Bremen: Das Objektträgeraquarium. Fütterung und Belüftung bei Kleinstaquarien. Mikrokosmos 60 (1971) S. 85 - 89.

Hans-Henning Heunert: Präparationsmethoden für Vitalbeobachtungen an Mikroorganismen. Mikrokosmos 63 (1974) S. 256 - 260 (Anmerkung der Redaktion: Heunerts Arbeit beschreibt feinmechanisch aufwendig hergestellte Mikroaquarien und richtet sich wohl eher an professionelle Forscher).


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© Text und Fotos von  Martin Mach