Das Bärtierchen-Journal
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Bärtierchen - Entwicklungsbiologie (I)

Zur mentalen Vorbereitung auf das Thema "Entwicklungsbiologie" sollten wir uns zunächst einmal selbst bei der Nase packen und die natürlichen Grenzen betrachten, welche dem Mikroskopie-Amateur gesetzt sind:
Den meisten Feierabend-Mikroskopikern steht lediglich das wissenschaftliche Instrumentarium des späten 19. oder frühen 20. Jahrhunderts zur Verfügung. Hinzu kommt, daß ein massiver Chemikalieneinsatz, wie er zum Fixieren und Färben nun einmal notwendig ist, im familiären Umfeld deplaziert erscheint und speziell im Wohnzimmer mit Recht nicht geduldet wird.
Für die Betrachtung mancher Lebensäußerungen der Bärtierchen, wie z.B. die Muskelkoordination, das Sozialverhalten, die Nahrungsaufnahme usw. reicht uns, wie wir bereits gesehen haben, ein einfaches Mikroskop mit gewöhnlicher Hellfeldbeleuchtung völlig aus.
Beim Studium der Entwicklungsbiologie der Wasserbären wird es jedoch schwieriger, die meist recht kleinen und blassen Details überhaupt noch zu finden und zu erkennen. Manche Vorgänge sind nur kurzzeitig zu sehen, andere wird man nur bei ganz bestimmten Bärtierchenarten gut erkennen können. Wir werden uns in Geduld üben müssen und dürfen nicht erwarten, daß uns die Zellteilungen beim ersten Blick durch's Mikroskop quasi gleich entgegenspringen.

Embryonaluntersuchungen sind bei relativ großen Eiern mit glatter Außenwand am einfachsten. Zur Erinnerung: Viele Eier haben sogenannte Ei-Ausschüsse, die zwar äußerst dekorativ sind, jedoch den Einblick in den Ei-Innenraum vernebeln:

[ tardigrade, ei ]

Frei abgelegtes Ei von Macrobiotus sp.
Detail von der Oberfläche mit den sogenannten "Eiausschüssen",
welche hier wie umgestülpte Eierbecher aussehen. Ein wahres Kunstwerk, jedoch leider zum Studium der Embryonalentwicklung nur wenig geeignet.
Hellfeldbeleuchtung, Ölimmersions-
Objektiv, hohe Vergrößerung.


Das Ei des gebirgsliebenden Bärtierchens  Adorybiotus coronifer (Richters)   zeigt neben pepperoni-artigen Eiausschüssen eine ausgeprägt gelbe Eigenfarbe und verwehrt uns deshalb genauso diskret den Einblick in sein Innenleben.

[ tardigrade, ei ]

Gelbes Ei des Bärtierchens  Adorybiotus coronifer
aus dem bayerischen Voralpenland.
Maximale Länge ca. 150 µm.


Bei einigen Bärtierchenarten sind die Eizellen schon im Mutterleib, auch in vivo, d.h. beim lebendigen Tier, gut zu erkennen und im Detail studierbar.

[ tardigrade, totale ]

Manche Eizellen lassen sogar schon im Mutterleib erkennen, ob das Ei später nach der Ablage glatt sein oder Ei-Ausschüsse aufweisen wird:

[ tardigrade, eizelle ]

Eizelle im Leib eines Bärtierchens.
Die roten Pfeile markieren deutlich erkennbare Anlagen für Eiausschüsse.
Bildbreite ca. 0,1 mm.


Angesichts der meist zahlreichen und großen Eizellen können wir uns gut vorstellen, wie sehr das Mutterwerden die ganze Bärtierchenfrau fordert und, leider auch, wie hoch die Sterblichkeit des Nachwuchses sein wird:

[ tardigrade, eizellen ]

Bärtierchen (Eutardigrade)
mit mindestens 10 Eizellen.
Die Eizellen leuchten infolge der Dunkelfeldbeleuchtung weiß auf.


Mit ein wenig Glück können wir innerhalb der Eizellen manchmal eine Feinstruktur mit deutlicher Granulierung, sowie die Zellkerne erkennen:

[ tardigrade, eizellen ]

Bärtierchen Ramazzottius oberhaueseri, Detail mit 6 Eizellen. Schiefe Beleuchtung zur Kontraststeigerung.
Breite des Bildausschnitts ca. 200 µm.


Raphael von Erlanger hat schon 1895 einen ausführlichen Artikel zur Embryonalentwicklung der (glatten) Eier von Macrobiotus macronyx Dujardin vorgelegt und diesen mit 26 fein gestochenen Farbabbildungen illustriert. Zur Untersuchungsmethodik vermerkt er unter anderem: "Die Eier wurden in Glycerin unter ein Deckglas gebracht, welches mit Wachsfüßchen versehen war und zwei dünne Glasfäden untergelegt. Auf diese Weise gelingt es leicht, die Eier durch Wälzen des Deckglases in jede beliebige Lage zu bringen, so daß ich optische Quer-, Längs- und Frontalschnitte erhalten konnte."

In der nächsten Ausgabe des Bärtierchen-Journals werden wir kurz vom Thema "Eientwicklung" abweichen und der Frage nachgehen, welche sozialen Verhaltensweisen bei den Bärtierchen dazu führen, daß aus Eizellen schließlich befruchtete Eier entstehen.
Bei uns Menschen gibt es ja, wie wir alle wissen, den Storch. Bei den Bärtierchen jedoch ist das alles ganz anders ...

Dann bis zum nächsten Mal.



Literatur

Eigentlich war geplant, schon in dieser Ausgabe mehr Originalzitate aus der hyper-intellektuellen Publikation Raphael von Erlangers zu bringen. Aber vielleicht wollen Sie das Alles gar nicht als Zitat, sondern im unverfälschten Original, in vollem Umfang und mit allen Farbabbildungen? Tun Sie doch mal etwas für das Überleben der deutschen Bibliotheken und bestellen Sie dort auf dem altmodischen Geduldsweg:

Erlanger, Raphael v.: Beiträge zur Morphologie der Tardigraden.
Morphologisches Jahrbuch, XXII (1895) S. 491 - 513, plus 2 Farbtafeln.


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© Text und Fotos von  Martin Mach