Ganz besonders charakteristisch für den Stil des Buches erscheint uns das Kapitel
"Kurze Geschichte einer langdauernden Kontroverse", in dem der viele Jahrzehnte
währende Gelehrtenstreit um den Trockenzustand der Bärtierchen unterhaltsam und
informativ nachgezeichnet wird. May zufolge wurden die streitenden Parteien 1859 bei der "
Société de Biologie" in Paris vorstellig. Eine hochrangig besetzte
Expertenkommission (Broca, Balbiani, Berthelot, Brown-Séquard, Dareste, Guillemin und
Robin) diskutierte das umstrittene Wiederaufleben der Mikrofauna in sage und schreibe
42 (!) Plenarsitzungen. In einstimmigem Schiedsspruch bestätigte die Kommission schließlich,
daß Bärtierchen und Rädertierchen trotz zeitweiliger vollständiger
Austrocknung wieder zu normalem Leben zurückfinden können.
May erklärt uns weiterhin wunderbar einleuchtend, warum scheinbar blinde Bärtierchen (d.h.
Bärtierchen ohne Augenpigment) sich im Verhalten nicht von ihren Artgenossen mit Augenpigment
unterscheiden: das Augenpigment mag zwar die Sehleistung verstärken, sehentscheidend ist jedoch die
normalerweise völlig unsichtbare Sinneszelle in direkter räumlicher Nachbarschaft.
In den übrigen Kapiteln geht es unter anderem um die bizarren Eigenschaften der Bärtierchen-
Zellmembranen, die im Tönnchenzustand Wasser durchlassen, jedoch gleichzeitig
die bekannte Immunität gegen so lebensfeindliche Lösemittel, Farbstoffe, Säuren etc.
bedingen.
Das abschließende Kapitel mit den Arbeitsanweisungen mag zwar aus heutiger Sicht
wissenschaftlich überholt sein, es enthält jedoch ein Bild mit dem durchlöcherten
Löffel, der außerhalb der Tardigradenforschung lediglich eine Schattenexistenz
in Diätwitzen führt, den Tardiologen jedoch zum Abschöpfen der Moospflänzchen
aus den Petrischalen nützliche Dienste erweisen kann.
Summa summarum ist "La vie des tardigrades" als bibliophile Kostbarkeit
im Schrank des Bärtierchenconnoisseurs schlichtweg unverzichtbar. Und weil es
in französischer Sprache verfaßt ist, an der die Mehrzahl der Deutschen scheitert,
bekommen Sie es in der Regel preiswert. Verweisen Sie beim Feilschen einfach auf das
verfärbte Papier sowie die Stockflecken. Stellen Sie unmißverständlich klar,
daß sich außer Ihnen sowieso niemand für derart mickrige "Wurmheftchen"
interessieren würde!
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