Bärtierchen: Old style Zeichnung vs. Old style Mikrofoto |
Als wir vor 20 Jahren mit dem Bärtierchen-Journal begannen,
hatten wir ein klares, wenn auch nicht einfach in Worte zu fassendes Ziel:
Wir wollten zeigen, dass da noch etwas neben uns Menschen existiert, etwas sehr-sehr Kleines. Etwas Kleines
mit Augen, mit jeder Menge Muskeln und Nerven, mit Hirn, ja vielleicht sogar mit
einem Mikro-Bewusstsein (frech, nicht wahr?). Jedenfalls eine Art Parallelwelt. |
Abb. 1: Paradebeispiel städtischer Mikrofauna - ein Echiniscus-Bärtierchen. Es stammt vom Dach eines Münchner Mülltonnenhäuschens. Das Foto zeigt den Blick auf eine Petrischalenprobe durch ein MBS-10 Stereomikroskop (14x Okular, 4x Objektiv), aufgenommen mit Hilfe einer Smartphone-Kamera. Der Sehfelddurchmesser liegt unter diesen Bedingungen bei 4,2 mm. Das hier im Auflicht hellorange erscheinende Bärtierchen ist deshalb knapp 0,3 mm lang, wäre demnach unter günstigen Bedingungen gerade noch mit bloßem Auge als kleiner farbiger Fleck erkennbar. |
Auch wenn wir seit nun mittlerweile 20 Jahren Bärtierchen
fotografieren und filmen, müssen wir doch eingestehen, dass ihre Dreidimensionalität
und wunderbare Transparenz beim Blick durchs Mikroskop viel klarer erscheint als auf unseren besten Fotos.
Hinzu kommt das Problem der Glaubwürdigkeit:
Nach wie vor kann es passieren, dass sogar "Studierte" unsere Internetseiten für einen Witz halten
und mordmäßig erstaunt sind, wenn wir das Gegenteil beteuern. |
Abb. 2: Das Bärtierchen Echiniscus gladiator, mutmaßlich so von seinem Entdecker gezeichnet. Man könnte einen seichten Scherz vermuten - es ist aber keiner. |
Auch im Falle der Zeichnungen ergab sich sehr früh das Problem der möglichst realitätsnahen, wissenschaftlichen Dokumentation der Bärtierchen, während die dreidimensionale Darstellung, der lebensnähere "Habitus" in Misskredit geriet. Die Lehrbücher zeigen deshalb die Bärtierchen entweder von der Seite, wie in Abb. 2, oder so, wie man sie im Mikroskop normalerweise sieht, von oben, in der Draufsicht. Die Seitenansicht betont die Bärenform, unterschlägt jedoch üblicherweise vier der acht Beine. Dem Wunsch nach perfekter "wissenschaftlicher" Detailtreue folgend, zeigen zudem die Krallen in den Seitenansichten zur Seite, was leider nicht einmal annähernd der Realität entspricht. Wer einmal in der Rolle des Homo sapiens versucht hat, mit rechtwinklig nach außen zeigenden Füßen vorwärts zu gehen, erkennt schnell die Nachteile dieser Geometrie ... |
Abb. 3: Das Bärtierchen Echiniscus quadrispinosus, eine Entdeckung von Ferdinand Richters. |
Wir hatten uns deshalb für dieses Journal vorgenommen, ein auf dem Mülltonnenhäuschen gefundendes, rötliches Echiniscus-Bärtierchen nach Art unserer Vorväter, quasi in old style zu porträtieren. Hierbei wurde schnell klar, dass eine halbwegs erträgliche Anordnung der Beine nur im sogenannten asphyktischen Zustand der Bärtierchen auftritt. Lediglich dann sind die Tiere gestreckt und ihre 8 Beine bleiben wohlsortiert angeordnet - in der Seitenansicht verdeckt dann jeweils ein vorderes Bein ein hinteres vollständig. |
Abb. 4: Mülltonnenhaus-Bärtierchen, im sogenannten asphyktischen Zustand, d.h., bewusstlos fotografiert. Das hier gezeigte Tier ist etwas kleiner als das in Abb. 1, ca. 0,2 mm lang. Man beachte die von Abb. 2 und Abb. 3 abweichende, korrekte Anordnung der Krallen! Zu erkennen sind außerdem der dunkel erscheinende Magen-Darmtrakt, der kugelige Kaumagen, die Stilette und die Mundröhre. Auf eine starke Plättung des Bärtierchens durch Deckglasdruck haben wir wohlweislich verzichtet und es nach der Aufnahme wieder in die Moosprobe zurückgesetzt. |
Auf alle Fälle wird auf diese Weise plausibel, dass unsere Vorfahren den asphyktischen Zustand systematisch zum Zeichnen der Bärtierchen eingesetzt haben müssen. Und, zugegeben, ihre Zeichnungen sind schöner als unsere digitalen Aufnahmen, sogar wenn wir die etwas störende Farbe zurücknehmen: |
Abb. 5: Wie Abb. 4, jedoch via Bildverarbeitung der Farbe beraubt. Definitiv ein "Old style"-Foto und deshalb gleichzeitig Reverenz für James Murray und Ferdinand Richters! |
Bildquellennachweis
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© Text, Fotos und Filme von Martin Mach |