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Lupe für Fortgeschrittene (XXV)
Zwischen allen Stühlen - eine zweilinsige (!) Leselupe von Steinheil

In so manchem bundesdeutschen Wohnzimmer finden sie sich noch: Relikte aus dem Umfeld einer vormals glanzvollen Münchner Optikindustrie. Seien es nun Ferngläser oder Mikroskope von Rodenstock, Lesesteine der Sendlinger Optischen Werke, oder, wie hier in Abb. 1 gezeigt, eine Lupe der Traditionsfirma Steinheil.


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Abb. 1: Leselupe der Fa. Steinheil, in Original-Schutzhülle. Entstehungszeit wohl um 1960. Ca. 1,8 fache Vergrößerung. Zweilinsige (aplanatische) Optik - Erklärung weiter unten im Text.
Gesamtlänge 18,2 cm, Höhe im Bereich der Linsen 16,5 mm, freier Linsendurchmesser 62 mm. Linsenfassung und Griff bestehen aus Aluminium, am Griff mit schwarzem Strukturlack beschichtet. Gewicht 164,8 g.

Die Signatur "STEINHEIL MÜNCHEN" (Abb. 2) erinnert an ältere Produkte dieses Herstellers, z.B. die von uns schon öfters gepriesene, ebenfalls üppig ausgestattete 3x Einschlaglupe aus Bakelit.



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Abb. 2: Signatur auf dem Griff der in Abb. 1 gezeigten Steinheil-Lupe. Die Präzision der Gravur erscheint bei näherer Betrachtung geradezu unheimlich makellos, fast schon steril. Lediglich die, im Vergleich zu älteren Steinheil-Produkten etwas andersartig ausgerichteten Punkte auf dem großen "Ü" verraten eine behutsame Modernisierung des Designs.

Die Steinheil-Leselupe unterscheidet sich vom Gros der übrigen Leselupen durch eine zweilinsige Optik. Von außen sind allerdings lediglich zwei völlig plane Glas-Oberflächen zu sehen:


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Abb. 3: Seitenansicht des Optikkäfigs der Steinheil-Leselupe. Das Linsensystem ist in einem Aluminium-Käfig eingekapselt, entzieht sich somit dem neugierigen Direktzugriff des Mikroskopikers.

Es gibt einen einfachen, altbewährten Trick, um die Zahl der Linsen-Luft-Grenzflächen ohne Zerlegung zu ermitteln: Wir richten eine Spot-Lichtquelle von oben auf die Optik und beobachten die sich hierbei ergebenden Reflexmuster:



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Abb. 4: Reflexmuster der Steinheil-Leselupe bei Beleuchtung mit einer Spot-Lichtquelle. Es ergeben sich vier Lichtquellenbilder, die als Reflexe auf den Vorder- und Rückseiten zweier Einzellinsen zu interpretieren sind.

Wenn man die Lichtquelle in unterschiedlichem Einfallswinkel hin und her bewegt, wird auch intuitiv klar, dass die Reflexe paarweise zusammengehören. Somit sind - in Anbetracht der beiden planen Glas-Außenflächen - zwei Plankonvexlinsen zu vermuten, wobei die gekrümmten Oberflächen nach innen zeigen sollten, symmetrisch zueinander ausgerichtet sein dürften - die klassische Bauform eines aplanatischen Dubletts.

Der hier betriebene optische Aufwand lohnt sich durchaus: Im Vergleich mit einfacher konstruierten Leselupen erscheinen beispielsweise Textzeilen durchgehend gerade und farbrein, krümmen sich nicht bei Nähe zum Linsenrand. Die genannten Vorteile kommen besonders dann zum Tragen, wenn man die Dublett-Leselupe etwas näher ans Auge hält, etwa so wie Sherlock Holmes es auf den meisten seiner Portraits vorexerziert.

Man kann mit Hilfe derartiger Reflexmuster übrigens auch kompliziertere Linsensysteme untersuchen, in manchen Fällen sogar auf Art und Umfang einer optischen Vergütung schließen. Aber keine Sorge: Dies wird nicht Gegenstand der Bärtierchen-Journale 282 bis 400 sein!



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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach