|
II. Beobachtung.
Ueber den kleinen Wasserbär.
Tab. IV. fig. 7.
Mit Recht kann dieses Geschöpf unter die seltensten und
seltsamsten gerechnet werden. Selten nenne ich es, weil
ich es im Winter nur einigemal, im Sommer gar nicht gefun-
------------------------ Seite 368 -----------------------------
den habe. Selten muß es wohl seyn, weil ich es in
allen Verzeichnissen der größten Naturforscher, deren Auge
weit mehr, als das meinige gesehen, vergeblich gesucht habe.
Selbst ein Müller, dieser scharfsichtige Beobachter, scheint
es nicht entdeckt zu haben o ) .
Seltsam ist dieses Thierchen, weil der ganze Bau
seines Körpers ausserordentlich und seltsam ist, und weil es
in seiner äusserlichen Gestalt, dem ersten Anblicke nach, die
größte Aehnlichkeit mit einem Bäre im Kleinen hat.
Dies hat mich auch bewogen ihm den Namen des kleinen
Wasserbärs zu geben p ) .
Man fürchte sich indessen nicht, auch diese Raub-
thiere der unsichtbaren Welt zu betrachten. Sie sind es
aber in ihren Verhältnissen gegen andere Würmchen ihres
Elements, eben so gewiß, als es die Tyger und Löwen der
Afrikanischen Wüsten sind. Denn die Natur hat immer
eins für das andere bestimmt. So ist es in der grossen
Welt. In der kleinen frißt ein Thier ebenfalls das an-
dere, weil diese mit jener durch eine Kette verbunden ist.
Man erblickt ja unter den Infusionsthierchen alle
möglichen Thiergestalten. Es ist wohl nicht zu vermu-
then, daß sie die blossen Gestalten, nicht aber auch die Ei-
genschaften derselben haben sollten. Ihre Handlungen
beweisen es offenbar, daß es in der kleinen Welt Raub-
thiere gebe. Die Gefräßigkeit ist bey einigen Arten die-
ser Thierchen so groß, wie sie nach Proportion bey Bären
------------------------ Seite 369 -----------------------------
und Hyänen immer seyn kann. Selbst die Werkzeuge
und Waffen, womit einige dieser Infusionsthierchen ver-
sehen sind, beweisen es, daß sie unter die Raubthiere
gehören q ).
Es ist gewiß kein grösseres Vergnügen, als die Po-
lypen, die Räderthiere, und andere Raubthiere unter
dem Vergrößerungsglase ihre Beute ergreifen, und ver-
schlingen zu sehen. Dazu kann man ohne weite Reisen,
ohne Lebensgefahr, ohne große Kosten gelangen. Ein Lin-
sengläschen zeigt uns eine neue Welt, und ich weiß es aus
der Erfahrung, daß man vor Verwunderung ausser sich
selbst gesetzt wird, wenn man diesen Anblick zum ersten-
male hat r ) .
------------------------ Seite 370 -----------------------------
Vielleicht bin ich von meinem Ziele zu weit abgekommen.
Ich kehre zu meinem Bäre zurück, dem ein jegli-
cher diesen Namen zuerkennen wird, der ihn nur einmal
unter dem Mikroskope gesehen. Zuerst habe ich dieses
Würmchen am 10. December 1772 in den Meerlinsen eines
stehenden Wassers gefunden. Es ist besonders merkwür-
dig, was ich bey dieser Gelegenheit anführen will, und was
ich nun schon länger, als zwey Jahre, aus der Erfahrung
angemerkt habe: daß mit diesem Monate, wenn anders
nicht schon die Kälte zu groß geworden, die rechte Ver-
mehrung der Infusionsthiere ihren Anfang nehme.
Von den Insekten hat bereits Spallanzani behauptet,
daß sie sich im Herbst begatten. s) Man findet da-
her in den Wintermonaten allezeit unendlich mehrere, und
------------------------ Seite 371 -----------------------------
verschiedene Thierchen in dem Meerlinsenwasser, als in
den heissesten Sommertagen. Diese Fruchtbarkeit dauret
bis zum Frühjahre fort, da die alten Meerlinsen vergehen,
und die jungen wiederwachsen. Ich habe angemerkt, daß
die Menge der Wasserthierchen abnimmt; je mehr die neuen
Meerlinsen zuwachsen, und sich mit ihren Wurzeln in ein-
ander schlungen. Hingegen sind sie zu keiner Zeit zahlrei-
cher, als wenn die Meerlinsen im späten Herbste ihre Wur-
zeln verlieren, und nur die grünen Blätterchen derselben
oben auf dem Wasser schwimmen. Tunkt man denn nur
ein solches Linschen auf den Glasschieber, so wird man gan-
ze Kolonien Wasserthierchen von allerley Arten wahrneh-
men, die diese kleine Insul bewohnet haben. Eine Erfah-
rung, die bey allen Versuchen die Probe halten wird.
Denn ich habe sie zu oft wiederholt. In der Naturge-
schichte sind oft die kleinsten Umstände wichtig. Dies
hat mich zu dieser Ausschweifung bewogen. Ich kehre zu
meinem Vorhaben zurück, wie ich meinen kleinen Wasser-
bär beobachtet habe.
Durch die schwächeren mikroskopischen Linsen kann er
nicht sonderlich beobachtet werden. Man hat die größten
nöthig, wenn man seine Gestalt und Theile erkennen will.
Ich habe mich mehrentheils der zweyten Linse meines Mi-
kroskops bedienet.
Als ich ihn zum erstemal erblickte; so fand ich ihn auf
dem Rücken liegen. In dieser Stellung habe ihn nach-
gehends immer gesehen; so oft habe ich ihn noch einigemal zu
beobachten das Glück gehabt.
Sein ganzer Körper ist nicht so durchsichtig wie bey
andern Arten der Wasserthiere. Die Haut, welche die
inneren Organe (?)bedeckt(?), scheint graulich, und ist mit vielen
------------------------ Seite 372 -----------------------------
schwarzen Körnern besät, (granulosum) so daß es
das Ansehen eines Chagrins hat. Inwendig zeigt sich ein
ganz undurchsichtiger ovaler schwarzer Fleck, der mehr nach
dem Obertheile des Kopfes zuliegt.
Der Kopf t ) selbst ist sehr kurz und dicke, und hat
die größte Ähnlichkeit, wenigstens was die Kehle be-
trifft, mit einem Froschkopfe . An beyden Seiten sitzen
die Augen , die etwas hervorstehen, und deutlich zu unter-
scheiden sind.
Das Hintertheil gehet stunpf zu, und es ist daran
weder Schwanz, noch irgendein Haarchen zu sehen, wie
auch dergleichen am ganzen Körper nicht eins zu bemerken
ist. An beyden Seiten herunter hat er sechs bis acht Ein-
schnitte, die ich als eben so viel Luftröhren ansehe.
Das merkwürdigste an diesem Würmchen sind acht
kurze Füsse, deren jeder mit drey krummen und sehr
scharfen Klauen u) bewaffnet ist. Seine ganze Bewe-
gung, die ich an ihm gesehen habe, war immer einerley.
Es lag auf dem Rücken, und streckte seine Fußchen unauf-
hörlich von sich, und zog solche wieder zusammen, als wenn
es sich bemühen wollte, etwas damit zu fassen, und sich auf
die Beine zu helfen. Faßte es auch etwa ein Moostheil-
chen, oder dergleichen, so konnte es doch nicht aufkommen.
Ich habe es oft versucht, ihm mit einer spitzen Nadel
aufzuhelfen; allein es fiel immer wieder auf den Rücken.
Ich spühlte auch das Tröpfchen, worin es war, in ein Uhrglas,
um zu sehen, ob es darin schwimmen könnte, wenn es mehr
Wasser unter sich hätte; aber eben so wenig.
Ein lustiges Schauspiel habe ich einst mit angesehen,
welches mir ein deutlicher Beweis war, daß seine Krallen
------------------------ Seite 373 -----------------------------
eben nicht allzusanft angreiffen mußten, wenn es damit etwas
lebendiges faßte. Es fuhr nemlich eins von den gewöhnli-
chen eyrunden Thierchen, die in allen Infusionswassern
herumschwärmen, auf meinen Bär zu, und war so unglück-
lich, daß er es mit den Krallen seines einen Fußes faßte.
Das Thierchen that einen gewaltigen Ruck, weil es ihm
sehr empfindlich seyn mußte. Allein der Bär ließ nicht so-
gleich loß. Es kam so weit, daß er sich von dem kleinern
Thierchen, welches gewaltig arbeitete, sich loßzumachen, eine
ziemliche Weite in dem Tropfen mit fortschleppen ließ.
Indessen machte er keine Miene, dieses Thierchen, als eine
gefangene Beute, durch Anwendung seiner andern Füsse
noch vester zu halten. Da es von ohngefähr in seine Klauen
gekommen war, so schien es ihm gleichgültig zu seyn, als
es seine Freiheit erhielt. Er blieb in seiner alten Stellung
und Bewegung auf dem Rücken liegen, und zappelte immer
mit seinen Füssen fort. Ich verfolgte aber das befreyete
Thierchen sogleich mit meinen Blicken, und glaubte auf sei-
nem Rücken einen Riß zu bemerken, wie es sich denn auch
nicht mehr so munter, als vorher bewegte. Es ging nach
dem Rande zu, und verschied. Ich habe hieraus geschlos-
sen, daß auch die kleinsten Wasserthierchen der Empfindung
und des Schmerzens fähig sind. Ihr Körperchen scheint
nicht auf die Art, wie bey den Polypen und anderen Wür-
mern gebauet zu seyn, welchen Schnitte, Wunden, und Ver-
stümmelungen zu ihrer Vermehrung beförderlich sind.
Schöpfer der Elephanten und Atomen, der Walfische und
der lebenden Wasserpünktchen! ich erstaune vor der unend-
lichen Mannigfaltigkeit der Modelle, nach welchen dei-
ne Weisheit jeden Körper des Thiers, des Vogels, des Fro-
sches, des Insekts, und des Wurms, anders gebildet hat!
------------------------ Seite 374 -----------------------------
Uebrigens kann ich nicht sagen, wie mein Wasser-
bär seine Beute erjage, und was er eigentlich für Nahrung
zu sich nehme. Seine ganze Lebensart scheinet nichts
anders zu seyn, als sich an den Meerlinsen anzuhängen, weil
er seine Füsse gar nicht zum Schwimmen gebrauchen kann.
Ob ihm aber die 24 Klauen bloß zum Anhängen, oder
noch zu andern Absichten von der Natur gegeben sind, kann
ich jetzt noch nicht bestimmen. So viel aber ist gewiß,
daß wohl nichts fürcherlicheres gedacht werden könne,
als wenn uns dieses Thierchen in der Grösse eines ei-
gentlichen Bärs erscheinen sollte.
Eins von den Thierchen habe ich mit feinen Na-
deln zerlegt. Da traten die inneren Theile in lauter Kör-
nern heraus. Auch der oben genannte schwarze Sack kam
hervor, den ich für den Eyersack halte. Die Körner flos-
sen in dem Wasser herum, und schienen lauter durchsichtige
Bläschen zu seyn. Weiter konnte ich von den inneren
Theilen nichts unterscheiden.
Ein andermal fand ich in einem Tropfen Meerlin-
senwasser, welches wenigstens 6 Wochen gestanden hatte,
einige Häute oder Hülsen solcher todten Bärthierchen ,v )
woran noch die Klauen an den acht Füssen zu sehen wa-
ren. Inwendig in einer solchen Haut, lagen elf braune
ovale Körperchen, mit schwarzen Flecken, worin die
Jungen eingeschlossen waren, deren einige sich darin wirk-
lich noch bewegten, wie ich und einige Freunde zu-
gleich sehr genau bemerkt haben, weil wirs anfänglich selbst
für eine Einbildung und Betrug der Augen hielten. Sie
hatten die größte Aehnlichkeit mit der Lage und Gestalt der
------------------------ Seite 375 -----------------------------
sogenannten jungen Kugelthiere , die auf eben die Art in
den Alten eingeschlossen sind y )
Zum Beschluß diese Beobachtung will ich nur noch
anmerken, daß dieses Thierchen kein Objekt für das
Sonnenmikroskop ist. Es ist zu undurchsichtig, und
es ist daran nicht deutliches zu bemerken.
Da der Allmächtige sprach: es werde; da die Erde,
dieser Tropfen am Eymer, aus seiner Hand rann; da hat
er auch dieses Würmchen, Millionenmale kleiner als ein
Sandkorn, gewürdiget mit zu schaffen und sechstausend
Jahre zu erhalten. Zu welchen Absichten, da es vielleicht
mein Auge in diesm Jahre zum erstenmale erblicket hat?
Herr! wer ist dein Rathgeber gewesen? Von Ihm, und
durch Ihn, und zu Ihm sind alle Dinge - Ihm
sey Ehre - in den Sonnen, in den Wolken,
in den Meeren, in den Tiefen, in der sichtbaren und
unsichtbaren Welt, in den Behemoten, und in dem
Würmchen, das kein Auge gesehen - Ihm sey
in Ewigkeit - Ihm sey Ehre auch
in meinem Herzen.
----------------------------------------------------------------
--------------------------- Anmerkungen ----------------------
----------------------------------------------------------------
o Wenigstens habe ich es in seiner neuesten Schrift: Ver-
mium terrestrium et fluviatilium, seu animalium infu-
sorium etc. succincta historia Hafn. et Lipf. 1773.4.
nicht bemerkt.
p Hat man doch Cercaria catellus, lupus; Trichoda ca-
melus, lepus; Vorticella felis, catulus, u.s.w. S.
Müller, Vermium etc. hist. p. 65. 67. 108.
q Ich erinnere hier ein für allemal, daß ich durch die Infu-
sionsthierchen mit dem Herrn Kanzleyrath Müller nur
diejenigen Wasserwürmchen verstehe, welche in süssen und
mit vegetabilischen Sachen angefüllten Wassern angetroffen
werden. S. Vermium etc. succincta historia. p . 4.
Unter den Raubthieren der kleinen Wasserwelt aber habe ich
noch keine wildere und gefräßigere bemerkt, als die man
gemeiniglich in den grüngewordenen Wässern der Cisternen,
der Sturmfässer, der Tröge, u.s.w. findet, und die ich im
17 St. des Hannoverischen Magazins 1773. beschrieben
habe. Sie verschlingen mit einem Zuge ganze Haufen an-
derer kleineren Thiere. Herr Müller Vermium etc. hi-
storia p. 131. n 142, hat sie unter dem Namen: Bra-
chionus urceolaris begriffen. Bey dem Joblot observa-
tions d' histoire naturelle, faites avec le Microscope etc.
à Paris 1754. 4. Tom. I. Part. II. Chap. XXX, p. 68.
Pl. 9. sind es die Grenades aquatiques, coronnées et
barbues.
r Die Gedanken des Herrn Kanzleyrath Müllers von dieser
Sache sind viel zu schön und einnehmend, als daß ich sie mei-
nen Lesern vorenthalten könnte. er sagt in der Einleitung
der angeführten Schrift, unter dem Titel: Infusoria, wie
man auf eine der Grösse des Allmächtigen gemässe Art davon
urtheilen müsse. Vielleicht ist das Buch: Vermium etc.
historia noch nicht in vielen Händen. Hier sind seine
Worte: p. 1. f.
Sie quae de animalculis infusoria dici possunt, enar-
rentur, verbaque et oculorum acies sufficerent, dicendi
nullus finis esset. Paucissima magnificentiae et splen-
doris Numinis optimi maximi documenta prodere
mens humana valet, in plurimis stupet et obmutescit.
Mundus invisibilium maioribus occlusus, centum abhinc
annis, et quod excurrit, adiri coepit; monstra, forma et
vitae ratione, inaudita, alit, miraculisque aeque abun-
dat, ac remota Indiarum tellus, minori veri periculo
perlustratur, ubique enim ante pedes praesto est, nec
auri fame visitur. Utrumque multa incolarum strage
conquiritur; haec vero saepe vitae aggressorum dispen-
dio constitit, ille mera patientia comparatur. Aciculae
alterum, quae orbis terrarum hemisphaeria iunxit, al-
terum lenti, quae moleculas solares, moleculasque infuso-
rias, remotissima rerum, sub eandem imaginem sistit,
debetur. In hoc intervallo quid iam magnum, quid
parvum? Ens, quod hoc cogitat, et humana patitur.
s Bonnets Betrachtung über die Natur XI. Th. V. Hauptst.
p. 375.
t fig. 7. a, b, b.
u c, c, c, c.
v Ich will damit ihre Verwandlung, wie bey den Insekten,
nicht behaupten.
y Dieses seltsame Thier hat den Namen von seiner kugelrun-
den Gestalt. Es nimmt aber unzähliche Gestalten an, daß
man glaubt, ganz andere Thiere zu sehen. Es hat oft
dreyßig bis vierzig junge Kugelthiere in sich, deren jedes
wieder 6 bis 8 in sich hat, woraus man auf die Fruchtbar-
keit eines einzigen Alten schliessen kann, da es schon seiner
Kinder = Kindes = Kindes = Kinder bey sich führt. Ihre
Geburt pflegt also zu geschehen. Die Haut des Alten öff-
net sich an der Seite. Die Jungen schlüpfen heraus. Die
Mutter selbst aber, die auf diese Weise geboren hat, verge-
het, und ist wie ein bischen weisse Haut anzusehen. Ich
bin selbst sehr oft von diesen wunderbaren Geburten ein Au-
genzeuge gewesen. Man kann sie bei Baker in seinen
Beyträgen zum Gebrauch des Mikr. p. 418. Tab. 12. f. 27.
... sehen ...
|
|