Das Bärtierchen-Journal
[Titelfragment 1.1] [Titelfragment 1.2] Titelfragment 1.3]
[Titelfragment 2.1] [Titelfragment 2.2] [Titelfragment 2.3]
[Titelfragment 3.1] [Titelfragment 3.2] [Titelfragment 3.3]


Echiniscoides sigismundi - ein wenig genauer betrachtet

Echiniscoides sigismundi zählt zu den sehr wenigen marinen Bärtierchen, welche bereits im 19. Jahrhundert bekannt waren. Ein Blick in die wissenschaftliche Literatur ergibt, daß die meisten anderen Meerestardigraden erst relativ spät entdeckt wurden, nämlich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Walter Maucci, einer der bekanntesten Bärtierchenforscher benennt in seiner prächtigen Monographie über die italienischen Tardigraden zahlreiche Spezies, welche anscheinend vor aller Augen, nämlich an den italienischen Stränden zuhause sind:

Halechiniscus perfectus SCHULZ (1955), gefunden im Sand am Meer bei Neapel
Halechiniscus remanei SCHULZ (1955), Neapel und viele andere Fundorte in Italien
Batillipes similis SCHULZ (1955), Neapel
Batillipes adriaticus GRIMALDI DE ZIO (1979), Brindisi
Stygarctus bradypus SCHULZ (1951), Lecce
usw.

Warum fand man sie erst so spät? Vermutlich, weil sie nicht gerade zahlreich vorkommen und noch dazu im Sand nicht leicht zu finden sind. In der Regel reicht es leider nicht aus, einfach eine Handvoll nassen Meeressand unter ein Stereomikroskop zu streuen um dann die Tardigraden zu bestaunen.
Die professionellen Forscher dürften sich deutlich mehr Mühe gegeben zu haben. Ein bescheiden versteckter Hinweis in der Beschreibung des Lebensraumes von Halechiniscus perfectus bei Maucci sollte uns zu denken geben: "im Sand des Küstenbereichs bis zu 170 cm Tiefe" .
Da werden wir als Amateure mit unseren improvisierten Schnorchelsonden und Eßlöffel-Grabungen nicht mithalten können. Hinzu kommt, daß der typische marine Tardigrade glasklar und unscheinbar ist. Noch dazu klammert er sich gerne an der Rückseite von Sandkörnern fest.

Echiniscoides sigismundi hingegen können wir tatsächlich im Vorbeigehen, mit einem Einmachglas aufsammeln, weil sein Lebensraum, die grünen Algen im Küstenbereich, problemlos zugänglich ist. Bereits im letzten Journal haben wir eine typische  Fundsituation   bildlich vorgeführt. Für uns Amateure günstig ist weiterhin die Tatsache, daß E. sigismundi hart im Nehmen ist. Schwankende Salzkonzentration ist ihm ziemlich egal - obwohl eigentlich Meerestier muß er als Algenbewohner im Uferbereich auch weiches Regenwasser vertragen. In der Tat haben Versuche von Gisela Grohé gezeigt, daß E. sigismundi zwei bis drei Tage, wenn auch bewegungslos aufgequollen, in Süßwasser überleben kann und bei Neuzutritt von Salzwasser wieder zu normalem Aussehen und normaler Bewegungsfähigkeit zurückkehrt.
Temperaturschwankungen von mindestens 20 Grad muß das zähe Wesen natürlich auch überstehen können, wenn ab und zu die Sonne auf die austrocknenden Algen herunterbrennt. Summa summarum können wir mit Recht hoffen, daß ein so harter Bursche selbst im bescheidenen Meerwasser-Joghurtbecher überlebt.


Schauen Sie sich doch mal einen kurzen Echiniscoides sigismundi Video-Clip an, und zwar hier !


Einzigartig in der Welt der Tardigraden ist die hohe Zahl an Krallen, je nach Alter und lokaler Variante liegt die Krallenzahl pro Bein hier zwischen 5 und 11.


[ Echiniscoides sigismundi ]

Viele, viele Krallen ...


Der Körper erscheint fast farblos, je nach Verdauungszustand kann der Darminhalt grün, braun oder auch tiefschwarz aussehen. Bei den hier gezeigten E. sigismundi fehlen praktisch alle Körperanhänge, in der Fachliteratur finden sich jedoch gelegentlich auch Abbildungen mit deutlich erkennbaren Filamenten "A" (in Kopfnähe).
Die langen, schnurgeraden Stilette und der Kaumagen erinnern an die terrestrischen Echiniscen:


[ Echiniscoides sigismundi ]

Schmale Stilette, herzförmiger Schlundkopf


[ Echiniscoides sigismundi ]

Deutlich erkennbare, für die Art charakteristische Hautfalten zwischen den Hinterbeinen.
Der rote Pfeil markiert neu gebildete Krallen. Gelappter Darm.


Die Augenpigmentflecken sind schwarz und schüsselartig nach außen gekehrt.
Cirri mediales externi und interni vorne am Kopf erscheinen winzig, wie Bartstoppeln:


[ Echiniscoides sigismundi ]

Winzige Cirri
vorne am Kopf, schwarze Augen.


Die kugeligen, unskulpturierten Eier werden angeblich frei oder zu kleinen Grüppchen verklumpt abgelegt. Leider haben wir in unseren Wasserproben keine Eier gefunden :-(
Und, falls Sie jetzt hoffen sollten, endlich eine weitere, leicht bestimmbare Bärtierchenart zu kennen, müssen wir Sie leider enttäuschen: Seit den 80er Jahren wurde die bislang griffige Spezies E. sigismundi in zahlreiche, schwierig determinierbare Subspezies unterteilt.


Literatur

Grohé, Gisela: Das marine Bärtierchen Echiniscoides sigismundi. Verhalten bei extremen Umwelteinflüssen. Mikrokosmos 65 (1976) S. 129 - 132.

Maucci, Walter: Fauna d'Italia - Vol. XXIV - Tardigrada. Bologna 1986 [ Gute Übersichtsdarstellung zu den italienischen Mittelmeertardigraden. ]

Hauptseite



© Text und Fotos von  Martin Mach