Das Bärtierchen-Journal
[Titelfragment 1.1] [Titelfragment 1.2] Titelfragment 1.3]
[Titelfragment 2.1] [Titelfragment 2.2] [Titelfragment 2.3]
[Titelfragment 3.1] [Titelfragment 3.2] [Titelfragment 3.3]

Mittlerweile werden viele Leserinnen und Leser einen Weg gefunden haben, ihre spezielle Kamera an das eigene Mikroskop zu adaptieren.
Es gibt dafür jede Menge hilfreiche Tips und Tricks im Internet, z.B. im Umfeld der Mikrobiologischen Vereinigung München e.V..

Während sich Aussehen und Leistungsfähigkeit unserer Mikroskop-Objektive relativ langsam und insgesamt nur wenig verändert haben, sind die radikalen, sprunghaften Veränderungen im Bereich der Phototechnik bis hin zur digitalen Bildverarbeitung offenkundig.
Wer von Euch, liebe Leserinnen und Leser, würde schließlich heutzutage noch mit den hier unten abgebildeten Apparaten arbeiten wollen?


[Mikrophotographie historisch]

Kleine photographische Kammer nach Moeller (1890).
Abbildung aus W. Behrens: Leitfaden der botanischen Mikroskopie. Braunschweig 1890.

Beachten Sie bitte die Dreibeinlupe zur Kontrolle des Mattscheibenbildes, sowie das würfelförmige Bleigewicht zum Austarieren der Gewichtsbalance. Der gesamte Aufbau lastet auf einem relativ kleinen Mikroskop und dort wiederum auf der großen Fokussierschraube. Es erfordert insofern schon eine Portion Optimismus, scharfzustellen und dann darauf zu bauen, daß sich die Einstellung bis zum Belichten des Films nicht wieder schleichend verändert.



[ ]


Photographische Kammer nach Neuhauss (1890).
Abbildung aus W. Behrens: Leitfaden der botanischen Mikroskopie. Braunschweig 1890.
Da der Balgen beim Betrieb der Kamera bis zu 1,80 m (!) ausgezogen wird, benutzte der Photograph eine Seilkonstruktion mit Leitrollen (c), (d), (e), um den Feintrieb des Mikroskops (b) einzustellen.

Andererseits läßt sich nicht bestreiten, daß der Photograph Harald Doering seine faszinierenden Ameisenbilder noch in den 50er Jahren mit einer Einrichtung aufgenommen hat, welche der oben gezeigten Balgenkonstruktion im Prinzip sehr ähnlich ist.
Auch die Fotos, welche Henri van Heurck schon um 1890 der äußerst winzigen und blassen Diatomee Amphipleura pellucida  abgerungen hat, sind bis heute in ihrer lichtmikroskopischen Detailauflösung unübertroffen.
Wir hingegen, gesegnet mit modernster CCD-Technologie und Computer-Bildverarbeitung, haben manchmal Schwierigkeiten, mit unseren Vorfahren im Hinblick auf die Bildqualität gleichzuziehen.

Woran liegt das?

Es ist schon richtig, daß das Photographieren am Mikroskop technisch einfacher geworden ist. Aber, mal ehrlich, wer hat heute schon noch die Zeit und Geduld eines Ferdinand Richters, welcher tagelang am Mikroskop saß, bis endlich das Bärtierchen aus dem Ei schlüpfte?


[ Warten auf die Time-Lapse Technologie ]

Es ist nicht immer einfach,
mikroskopische Vorgänge ohne technische Unterstützung
ganztägig zu verfolgen ...


Tatsächlich haben sich die technischen Einrichtungen und Möglichkeiten zur Mikrophotographie in den letzten Jahren drastisch verbessert.
Die Freizeit muß allerdings zwischen immer mehr konkurrierenden Aktivitäten aufgeteilt werden, welche wir uns typischerweise selbst eingebrockt haben, denken wir nur an das Löschen lästiger Werbe-E-Mails. Es ist sicherlich kein Zufall, daß jüngst im Internet der Begriff "zeitnah" als Unwort des Jahres vorgeschlagen wurde. Manch einer unter uns fühlt sich schon wie bei "Momo" und meint, mit dem Rücken zur Wand gegen die "Zeitdiebe" kämpfen zu müssen.

Das Bärtierchen-Journal kann natürlich weder auf die aktuellen Management-Moden noch auf die Entwicklung sprachlicher Sumpfblüten Einfluß nehmen.

Wir wollen hier nur ganz bescheiden auf eine technische Möglichkeit hinweisen, welche dem Amateur Langzeit-Photodokumentationen am Mikroskop wesentlich erleichtert:
Häufig wird übersehen, daß fast alle modernen CCD-Kameras direkt vom Computer angesteuert werden können. Es scheint so, als würden auch renommierte Kamera-Hersteller ihrer Digitalkamera beim Verkauf nur noch die Software "Mein süßes Album vom Hund" beilegen. Im Internet finden sich jedoch erfreulicherweise viele professionelle Lösungsvorschläge, mit deren Hilfe sich Kameras unterschiedlicher Marken automatisch fernsteuern lassen, wobei Photos in fast beliebigen Zeitabständen aufgenommen und gleich auf die Computerfestplatte überspielt werden können (auf Neudeutsch "Time-Lapse-Technik").

Bitte beachten Sie beim Basteln, daß unbeaufsichtige Elektrogeräte, insbesondere alte Computermonitore und netzbetriebene Beleuchtungen in Ihrer Abwesenheit Brände verursachen können. Verwenden Sie deshalb möglichst Kaltlicht-Taschenlampenbeleuchtungen, achten Sie auf eine gute Belüftung des Computers, schalten Sie unbedingt den Monitor aus und hüten Sie sich vor minderwertigen oder unterdimensionierten Steckernetzteilen.

Die Redaktion verwendet für die Zeitrafferaufnahmen ein Freeware-Programm der Firma Pinetreecomputing. Mit diesem Programm wird eine Olympus-CCD-Kamera angesteuert, wobei alle 30 Sekunden ein Mikrophoto aufgenommen wird. Das hört sich zunächst nach relativ wenigen Bildern an, aber wenn Sie mal nachrechnen, ergibt das immerhin 2880 Stück in 24 Stunden. Die Einzelaufnahmen lassen sich dann wieder zu einem Film zusammenfassen, wobei vieles zu sehen ist, was man sonst verpassen bzw. wegen der Langsamkeit der Veränderung übersehen würde:


html5 player by EasyHtml5Video.com v3.5

Echiniscus-Bärtierchen, bereit zum Schlüpfen (Video-Clip).
Abspielgeschwindigkeit um den Faktor 150 beschleunigt.
Die Echiniscen drehen sich anscheinend nicht im Ei um. Speiseröhre und Stilette wirken so, als seien sie mit ihrer Vorderseite an der Eiwandung fixiert.
Reduzierte Bildqualität durch großes Wasservolumen im Mikroaquarium, noch dazu sparsame Beleuchtung.


In der nächsten Ausgabe finden Sie hier zwei zugehörige, spätere "Time-Lapse"-Videosequenzen, die zeigen, wie es mit dem Schlüpfen weitergeht.



Literatur

Hermann Schoepf: Das Mikrofoto. Düsseldorf 1957 (darin auf Seite 101 ein Photo, welches Harald Doering zeigt, mit Krawatte und dicken Brillengläsern, vor einer eindrucksvollen optischen Bank sitzend. Im Hintergrund eines von Doerings bizarren Ameisenphotos, riesig groß, wie aus einem Science Fiction Film).

William B. Carpenter: The Microscope and its Revelations. 7. Auflage, London 1891 (darin auf Tafel X ein Photo von Dr. Roderich Zeiss, welches die Diatomee Pleurosigma angulatum in maximaler Auflösung wiedergibt. Auf Tafel XI ein weiteres Photo von Dr. Henri van Heurck mit der Diatomee Amphipleura pellucida, aufgenommen mit Hilfe eines Zeiss-Objektivs der Numerischen Apertur 1,6 (!), bis hin zu den Punktstrukturen der "Linien" aufgelöst).


Hauptseite



© Text und Fotos von  Martin Mach