Hand auf's Herz, wieviele Privatpersonen kennen Sie,
die in der Freizeit speziell Moose betrachten, photographieren und bestimmen?
Vermutlich nicht allzu viele. Und es gibt dafür triftige Gründe. Von den Fachautoren
im Bereich Moosbestimmung wurde immer wieder erklärt, die Moose seien eben
zu klein und hätten halt auch keine Blüten, die den Orchideen das Wasser reichen könnten.
Wir sehen noch weitere Widrigkeiten: Man braucht für die Moose
enorm viel Zeit und noch mehr Geduld. Und der Gewinn, falls man in heutiger Zeit überhaupt noch
von einem nichtmerkantilen Gewinn sprechen darf, ist nun mal kein gastronomisches oder
sonstwie berauschendes Erlebnis, eher ein vergleichsweises bescheidenes,
rein intellektuelles und ästhetisches Vergnügen - vorausgesetzt, man scheitert
nicht bereits bein ersten Bestimmungsversuch.
Und wer kennt sich schon aus im Dschungel der vielen Arten, wer beherrscht die bizarren Namen?
Hier seien ein paar typische genannt:
- das Streifenfarnähnliche Schiefmundmoos (Plagiochila asplenioides)
- das Kriechende Schuppenzweigmoos (Lepidozia reptans)
- das Breitgedrückte Kratzeisenmoos (Radula complanata)
- das Tamariskenblättrige Sackmoos (Frullania tamarisci)
- das Ausgerandete Geldbeutelmoos (Marsupella emarginata)
- das Zungenförmige Jungermannsmoos (Jungermania lanceolata)
- das Zweizipfelige Kopfsproßmoos (Cephalozia bicuspidata)
- das Aufgeblasene Nacktkelchmoos (Gymnocolea inflata)
Angesichts von ca. 12.000 geschätzen Laubmoosarten im europäischen Raum
(Stand 1958, laut Weymar, Artenzahl selbstredend noch ohne Lebermoose)
könnten wir uns investigativ und mnemotechnisch sicherlich gut für
ein paar Jahrzehnte sehr intensiv beschäftigen, ganz ohne Handy und andere zeitraubende Ablenkungen,
versteht sich. Sie, liebe Leserinnen und Leser, werden es vielleicht auch nicht schaffen,
Ihr Leben nun flugs mit den genannten 12.000 Arten anzureichern. Möglicherweise werden
Sie statt dessen auf eine Art Abkürzung, neudeutsch Cheat, hoffen. Und genau
das wollen wir hier versuchen.
Im Querschnitt durch ein besonders schön augebildetes, fast ideal halbkugeliges
Mooskissen (unten) erkennen wir den typischen Wasserverteidiger, der alles daran setzt,
der feindlichen Sonne durch halbkugelige Geometrie eine möglichst geringe Angriffsfläche
zu bieten. Auch werden die feinen, seidigen "Glashaare" an der Oberfläche
in der Fachliteratur als vorgelagerter Verdunstungsschutz interpretiert. Die Glashaare schaffen eine Art Dschungel,
der die Restluftfeuchte im Glashaarbereich bewahrt und vor trocknendem Wind schützt.
Gleichzeitig bietet das Moos von oben eindringendem Wasser eine komplexe, schwammartige
Struktur an, die große Mengen an Feuchtigkeit aufsaugen und binden kann. Wer als Pionier
auf Felsen anlandet, setzt nicht auf eine saftige Bodenkrume (die schlichtweg noch nicht da ist),
wird deshalb auf tiefere Wurzeln verzichten und sich auf Wasserversorgung von oben spezialisieren.
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