Visuell versus Video
Langezeit hatten wir uns gesträubt, die schleichende Digitalisierung der Mikroskopie zu akzeptieren.
Zumindest anfangs erschienen die Kräfteverhältnisse noch völlig
klar: Der grobpixelige LED-Bildschirm eines "LED-Mikrokopes"
oder der eines alten Laptops ist schlichtweg nicht in der Lage, beispielsweise
die feinen Linien einer mittelschweren Testdiatomee (Pleurosigma angulatum) aufzulösen.
Und die ersten digitalen Mikroskopie-Fotos erschienen, unter anderem
wegen des zu geringen Kontrastumfangs der CCD-Bildwandler, in den hellen Bereichen
ausgefressen, in den dunklen abgesoffen. Kein Vergleich mit einem guten, altbackenen Farbnegativfilm.
Aber dann folgten das digitale Zusammenfügen der damals noch winzigen Digitalfotos zu
großen Flächen (neudeutsch: das Stitching) und das Kombinieren unterschiedlicher
Schärfeebenen (das Stacking). Plötzlich konnten, dank der digitalen Kunstgriffe
dreidimensionale Strukturen und räumliche Staffelungen auch rein fotografisch dargestellt werden.
Die Fotografie begann somit in eines der letzten unumstritten analogen Dokumentationsreservate
vorzudringen: in das Reich des logisch filternden und räumlich klug aufsummierenden Zeichners.
Und während sich bei den statischen Objekten die visuelle Beobachtung und die digitale Aufbereitung
noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen lieferten, brachen durch die plötzlich verfügbare, ultrahoch auflösende
Videoaufzeichung die letzten Dämme. Mit Erschrecken, aber auch freudigem Erstaunen registrierten wir,
dass auf den Bärtierchen-Videos nachträglich mehr zu sehen war
als vorher beim Live-Blick durchs Mikroskop. Zunächst erscheint diese Einsicht natürlich abwegig,
weil die Kamera ja am Mikroskop auch nichts anderes sieht als unser Auge.
Der große Unterschied liegt jedoch in der faszinierenden Möglichkeit,
kurze Lebenssequenzen digital einzufrieren und hinterher in aller Ruhe auszuwerten.
Das Video zeichnet ja immer brav mit, lässt sich später unter entspannten Bedingungen
Frame für Frame betrachten.
Es kann nach Belieben verlangsamt und angehalten werden, sobald Bildinhalt, Schärfe und
Ausschnitt stimmen. Ein simpler Klick fängt anschließend das Standbild
ohne jegliches Verwackeln im exakt richtigen Sekundenbruchteil ein.
Und die Bildqualität ist für die meisten Zwecke völlig ausreichend, auf alle Fälle
so gut, dass jeder greise VHS- und PAL-Filmer vor Neid verglüht.
Die folgenden, gegenüber den Originalen in der Größe stark reduzierten
Videos erlauben die Betrachtung von Zellen und Zellkernen im lebendigen Bärtierchen.
Sie zeigen die bereits früher erwähnten Pigmentflecken eines alternden
Macrobiotus-Bärtierchens in Bewegung, so dass sich ihre Form und Materialität besser
erfassen lässt. In einem anderen Moment präsentiert das Bärtierchen
für Sekundenbruchteile ein scharfes "Bestimmungsgesicht"
mit den Stiletten, der Mundröhre usw.
Zur Erleichterung der Betrachtung sind einige Standbilder zwischengeschaltet,
die aus unserer Sicht besonders ergiebige Ansichten akzentuieren.
Viel Spaß beim Betrachten der drei, im Grunde genommen gar nicht
außergewöhnlichen Lebenssequenzen aus der wunderbaren
Macrobiotus-Anatomie!
|