Das Bärtierchen-Journal
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Kleine Gerätschaften für unterwegs: Lupen mit festem Arbeitsabstand

Im  letzten Journal  hatten wir die Bärtierchen-Bildergebnisse mit einer guten, 10fach vergrößernden  Steinheil-Handlupe gezeigt und diskutiert. Wir hatten gesehen, daß die 10fache Vergrößerung angesichts der Winzigkeit der Bärtierchen nicht viel auszurichten vermag und schlichtweg nicht ausreicht.

Deshalb probieren wir es nun mit stärkeren Lupen, bis hin zu 30fach.
Der grundsätzliche Aufbau ist immer derselbe. Als kleine, mobile Lichtquelle verwenden wir ein Einzeldia-LED-Leuchtpult, d.h. mit Kaltlicht - schließlich wollen wir die Bärtierchen ja möglichst wenig behelligen und schon gar nicht bei lebendigem Leib dünsten. Auf das Leuchtpult legen wir das Mikroaquarium samt magisch stehender Wassersäule inklusive Bärtierchen:


[ Kleines Dia-Lichtpult als Durchlichtquelle ]


Kleines Leuchtpult, Batteriebetrieb, als Durchlichtquelle. Darauf unser schon mehrfach erwähntes Mikroaquarium samt der wunderbar frei stehenden Wassersäule.

Der Batteriekasten des Lichtpults entpuppt sich als ideale Auflagefläche für den soliden Stativkasten der 20er Betamag-Lupe:


[ Leuchtpult, Mikroaquarium und betamag-Lupe ]


20fach vergrößernde Betamag-Lupe im Arbeitsabstand über Mikroaquarium und Leuchtpult.

Die Betamag-Lupe hat ein Einstellgewinde zum präzisen Fokussieren. Das ist, zumindest im Vergleich zu den Handlupen schon recht komfortabel, aber, wegen des geringen Abstands zum Mikroaquarium nichts für Leute mit großen Fingern oder flattrigen Nerven. Nach ein wenig Quälerei erlangt man jedoch quasi den schwarzen Gürtel im Scharfstellen und wird mit einem kristallklaren Bild belohnt, welches auch ausgemachte Snobs und unverbesserliche Bildqualitäts-Puristen entzücken wird. Sensorisch ähnlich unübertrefflich wie frischer Schlagrahm ohne Zucker, ohne Konservierungsmittel und ohne Schaumfestiger. Leider vermittelt die Kamera nur eine grobe Vorstellung vom Bildeindruck (weil die Lupe eben noch besser als die Kamera abbildet):


[ Blick durch die betamag-Lupe ]


Blick durch die 20fach vergrößernde Betamag-Lupe in das Mikroaquarium. Die Kamera gibt den,
in Wirklichkeit wesentlich klareren Bildeindruck leider nur unvollkommen wieder, veranschaulicht jedoch den unbestreitbaren Zugewinn an Bildinformation im Vergleich zur 10fach Lupe (siehe letztes Journal). In den vier beigen Eiern des Milnesien-Geleges (auf Position 11 Uhr) ist trotz der optisch ungünstigen Randlage in der Wassersäule bereits eine Binnenstruktur wahrnehmbar.
Die Körperlänge der beiden roten Echiniscen in der Bildmitte beträgt ca. 0,3 mm. Das flott nach oben marschierende Weibchen hat leider unsere Belichtungszeit geknackt, was natürlich nicht der Lupe anzukreiden ist.

Wie so oft, wenn man im Leben einen Fortschritt erzielt hat, stellt sich Unzufriedenheit ein. Könnten wir nicht ... mit noch höherer Vergrößerung ... vielleicht ... noch ein wenig mehr sehen? Und wir greifen flugs zur Webcam-Lupe, die wir schon im letzten Journal vorgestellt haben.


[ Leuchtpult, Mikroaquarium und Webcam-Objektiv als Lupe ]


Objektiv einer ausgedienten Webcam als Lupe im Arbeitsabstand über Mikroaquarium und Leuchtpult. Die Vergrößerung liegt bei ca. 30fach. Bildhelligkeit und Bildfeldgröße bleiben zwar merklich hinter der Betamag-Lupe zurück, es lohnt sich jedoch trotzdem.

Der Kampf mit dem Fokus wiederholt sich auch hier, das Bild ist dunkler und das Gesichtsfeld kleiner - aber wir sehen tatsächlich mehr Details:


[ Blick durch die Webcam-Lupe ]


Erster Blick durch die Webcam-Lupe. Das Bildfeld ist relativ klein, die Echiniscen kommen jedoch dank der höheren Vergrößerung bei immer noch guter Schärfe etwas deutlicher heraus. Schnauzen und Krallen sind jetzt schon andeutungsweise erkennbar.


[ Blick durch die Webcam-Lupe ]


Zweiter Blick durch die Webcam-Lupe. Bei dem zentralen Milnesium-Bärtierchen sind die zwei schwarzen Augenflecke und die bräunliche Bänderung zu sehen. Die beiden hellgrauen Eier von Macrobiotus hufelandi (Position 4 Uhr) lassen bereits die charakteristischen Ei-Fortsätze erahnen. Das ein wenig weiter links oben liegende, orangerote Echiniscen-Ei erscheint selbst bei nun immerhin 30facher Vergrößerung noch recht winzig und undifferenziert. Es hat einen Durchmesser von nur ca. 40 µm.

Insgesamt wirklich nicht schlecht für ein Instrument von nur 8,5 g (!) Gewicht samt Stativ. Unterwegs, z.B. auf dem Mount Everest könnten Sie ja notfalls auf das Lichtpult verzichten und statt dessen den reichlich vorhandenen Schnee als diffuse Lichtquelle nutzen ;-)

Nach unseren eigenen Experimenten und Erfahrungen mit den Lupen können wir uns gut vorstellen, wie sich Antoni van Leeuwenhoek (1632 - 1732) mit wachsendem Eifer, immer kleineren Linsen und zunehmend höheren Vergrößerungen bei gleichzeitig schauderhaft winzigen Arbeitsabständen in die Mikrowelt eingeschlichen hat.
Im 19. Jahrhundert wollte ihm dann plötzlich niemand mehr glauben, daß er mit seinen Einlinsenmikroskopen tatsächlich Bakterien und rote Blutkörperchen gesehen hatte. Autoren des 20. Jahrhunderts wie Brian J. Ford und der Deutsche Klaus Mayer haben jedoch Leeuwenhoeks Vorgehen nachgestellt und seine Ergebnisse experimentell bestätigt. Klaus Mayer vertritt allerdings die Theorie, der geheimnisumwitterte Leeuwenhoek habe neben seinen kleinen Mikroskopen, wie in der Abbildung unten, schon aus präpariertechnischen Gründen sicherlich noch ein besseres stationäres Gerät besessen, welches nach seinem Tod verschwand. Das faszinierende Buch von Klaus Mayer hat 647 Seiten und sprengt den intellektuellen Rahmen des Bärtierchen-Journals. Hier sei nur angemerkt, daß sich auch ein Amateurmikroskopiker auf der Basis von Mayers Anleitungen durch einfaches Abschmelzen von Glaskapillaren winzige Kugellinsen bauen kann, welche locker 100fach vergrößern.


[ Leeuvenhoek-Mikroskop ]


Leeuwenhoek-Mikroskop (ca. 1690). Links: Betrachterseitig ist die winzige Einblicköffnung in der Fassungswölbung zu sehen, hinter der sich die stecknadelkopfgroße, extrem stark vergrößernde, fast kugelförmige Linse befindet. Das Mikroskop muß dicht ans Auge herangeführt werden. Rechts: Anblick von der Objektseite mit Fokussiereinrichtung und der Nadel, an welcher das Untersuchungsobjekt angebracht wird. Abbildung aus: William B. Carpenter, The Microscope and its Revelations (1891).

Das einstufige Präpariermikroskop mit optisch gleichem Prinzip gehörte, mit allerdings erheblich verfeinerter Mechanik im 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts zum biologischen Profi-Instrumentarium, trotz der arg gebuckelten Ergonomie und trotz des geringen Arbeitsabstandes.


[ Präpariermikroskop, Mitte 19. Jahrhundert ]


Präpariermikroskop, Mitte 19. Jahrhundert. Man beachte den äußerst geringen Arbeitsabstand zwischen Lupenhalterung p (für die Lupe q) und Objektebene h.
Abbildung aus: Jabez Hogg, The Microscope (1854).

Im nächsten Journal demonstrieren wir, warum die einfachen Präparier-mikroskope, genauso wie die stark vergrößernden Hand- und Stativlupen trotz guter Bildqualität von einem wesentlich komfortableren Gerätetyp verdrängt wurden: dem Stereomikroskop.



Historische Abbildungen

Leeuwenhoek-Mikroskop aus: William B. Carpenter, The Microscope and its Revelations. S. 134. London 1891.

Präpariermikroskokop aus: Jabez Hogg, The Microscope. S. 27. London 1854.



Quellen und weiterführende Literatur

John Field: Leitz Simple Magnifiers.
The Journal of the Microscope Historical Society, 12 (2004) 52 - 60. ISSN 1545-2077.

Brian J. Ford: Frühe Mikroskopie. Spektrum der Wissenschaft, Heft 6 (1998) S. 68 - 71.

Brian J. Ford: Single Lens. The Story of the Simple Microscope. 182 Seiten. New York 1985.
ISBN 0-06-015366-0.

Klaus Mayer: Geheimnisse des Antoni van Leeuwenhoek. 647 Seiten plus 8 Farbtafeln.
Lengerich 1998. ISBN 3-931660-89-3.


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© Text und Fotos von  Martin Mach