Das Bärtierchen-Journal
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Aktueller externer Link: Der Bearonauten(*) sind zurück!

Vom 14. bis 26. September 2007 war eine Gruppe Bärtierchen im Weltraum.
Verfolgen Sie doch bitte die Ereignisse im aktuellen  Bearonauten-Blogspot   von K. Ingemar Jönsson, dem TARDIS-Verantwortlichen.

Das Projekt "Tardigrades in Space" (TARDIS) unter Beteiligung der Universität Stuttgart (Team von Ralph Schill) ist Teil des Biopan-6 Moduls der European Space Agency (ESA). Eine russische Rakete hat den Transport im Rahmen der FOTON-M3 Mission zuverlässig erledigt und dafür gesorgt, daß die Tardigraden mittlerweile wieder - wir hoffen wohlbehalten - auf Terra gelandet sind.

Auch ethnisch war alles gut sortiert. Unsere treuen Leserinnen und Leser kennen natürlich alle Passagiere: Richtersius coronifer, Milnesium tardigradum (quasi der Vulkanier), Echiniscus testudo und Ramazzottius oberhaeuseri.
DNA-Untersuchungen sollen nun klären, inwieweit die Bärtierchen-Trockenformen ("Tönnchen") bei der menschlich-brutalen Exposition im All,
im Gegensatz zum warmduschenden Homo sapiens  natürlich ohne Raumanzug, Schaden genommen haben könnten.




Maritime Bärtierchen (I) - das lange Suchen

Felix Dujardin (1801-1860), ab 1840 Professor für Zoologie und Botanik an der Universität in Rennes entdeckte 1851 den ersten maritimen Tardigraden Microlyda. Sein Landsmann Lucien Cuénot (1866-1951) schildert die Begebenheit wie folgt: "Dujardin scheint von Microlyda lediglich ein einziges lebendiges Exemplar besessen zu haben, welches er in einem Gefäß mit Meerwasser unbekannter Provenienz fand, das einer seiner Kursteilnehmer an der Universität Rennes mitgebracht hatte."


[ Lehrer mit Schülern und Mikroaquarien ]

Zoologiekurs mit Hilfe von Mikroaquarien. Stich aus dem 18. Jahrhundert.

Dujardin veröffentlichte drei Zeichnungen seiner Microlyda und zementierte auf diese Weise seinen bis heute unangefochtenen Ruf als früher Erstentdecker eines maritimen Bärtierchens. Ein viel später lebender Forscherkollege kommentierte mit ehrfürchtigem Erschauern: "Schon Dujardin kannte eine marine Art." Microlyda wurde nie wieder gefunden.

14 Jahre später, 1865 vermeldete Max Schultze in Ostende den ersten Fund eines Echiniscoides. Echiniscoides kommt auf den grünen Algen im leicht zugänglichen Meerwasser-Brandungsbereich relativ häufig vor und war deshalb zwangsläufig einer der ersten Verlierer im weltweiten Bärtierchen contra Mensch Versteckspiel.

Man könnte meinen, daß die Welt der maritimen Bärtierchen spätestens mit der Entwicklung der apochromatischen Zeiss-Mikroskopoptiken durch Ernst Abbe (1872) offen gelegen haben müßte. Merkwürdigerweise fanden jedoch die vielen tüchtigen, fleißigen und hoch motivierten Forschersammler des 19. Jahrhunderts so gut wie gar nichts. Erst hart am Ende des Jahrhunderts rettete Lucien Cuénot noch knapp die Zunftehre, und zwar durch seine Entdeckung des maritimen Tardigraden   Tetrakentron synaptae   auf den Mundtentakeln der Seewalze.

Auch Prof. Ferdinand Richters, Entdecker zahlreicher neuer terrestrischer Bärtierchen, hatte mit den maritimen Arten seine liebe Mühe: "Im August 1908 hatte ich Gelegenheit, mich an einer Exkursion des zoologischen Instituts zu Kiel mit dem Dampferchen <Frieda> unter Leitung der Herren Prof. Apstein und Dr. Reibisch zu beteiligen. Unter anderem wurde auf Stoller Grund bei Boje 2 in einer Tiefe von 20 m gedredscht und Steine mit Fucus vesiculosus und serratus bewachsen, heraufbefördert. ... Bei der im Oktober vorgenommenen Untersuchung des Sedimentes fand ich drei Exemplare eines neuen, sehr merkwürdigen Tardigraden, den ich als  Batillipes mirus   in die Wissenschaft einführen möchte. Auf der Terminfahrt des <Poseidon>, Ende November 1908, dredschte Prof. Apstein nochmals an derselben Stelle; während etwa dreiwöchigen Suchens gelang es mir, in dem Material noch zwei Exemplare aufzutreiben. Mithin scheint Batillipes auf Stoller Grund ziemlich selten zu sein. In Material aus ähnlicher Tiefe aus dem kleinen Belt, von Fakkebjerg und von der Oderbank, das ich auch Prof. Apstein verdanke, fand ich nicht ein einziges Stück,"

Nota bene: nach dreiwöchigem Suchen ... zwei Exemplare!

Erst nach 1945 kam der große Durchbruch. Heute kennt man Hunderte maritimer Bärtierchenarten und es ist anzunehmen, daß die Ozeane noch viele einschlägige Überraschungen bereit halten.

Das Resümee aus der mühseligen Fundgeschichte liegt auch für uns Amateure auf der Hand: so richtig einfach kann das Suchen und Finden bei den maritimen Bärtierchen wohl nicht sein. Auch einschlägige Internet-Bildrecherchen bei Picsearch oder Google führen zu - gelinde gesagt - bescheidenen Ausbeuten.

Obwohl als weltweit individuenreichste Gliedertiergattungen anerkannt, mit Individuenzahlen im Multimilliardenbereich, sind die Meerestardigraden nicht einfach zu finden. Unter anderem liegt es daran, daß sie praktisch alle schlank, transparent und ultraklein sind, typischerweise nur zwischen 0,1 und 0,2 mm lang, sozusagen Zwerge zweiter Ordnung in der ohnehin schon irrwitzig miniaturisierten Kleinwelt der Bärtierchen.

Ab der nächsten Ausgabe werden wir von unseren eigenen Erfahrungen am Meer berichten. Eine kleine Warnung möchten wir allerdings Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, schon jetzt ans Herz legen. Wenn Sie nicht ganz besonders fleißig und ganz besonders schnell sind, werden Sie die meisten marinen Tardigraden, wenn überhaupt, nur in der Witwe-Bolte-Brathähnchen-Perspektive, d.h. von hinten sehen, bevor sie dann wieder unter einem schützenden Sandkorn verschwunden sind, in etwa so:


[ Batillipes Bärtierchen, Hinteransicht ]

Batillipes Bärtierchen, Hinteransicht. Körperlänge knapp 0,2 mm.

Auch erinnert die Suche im Meeressand deutlich an das berühmt-berüchtigte Kinderbuch-Suchspiel "Wo ist Walter?". Möglicherweise ist es sogar noch ein wenig schwieriger, weil die Bärtierchen, wie Sie sich schon denken werden, nicht wie Walter ein besonders auffälliges T-Shirt tragen. Die Schwierigkeiten, mit denen Ferdinand Richters zu kämpfen hatte, sind anhand des unten gezeigten, typischen Suchszenarios im Stereomikroskop auf alle Fälle gut nachvollziehbar:


[ Sandprobe mit Batillipes Bärtierchen ]

Meersandprobe mit (hier nicht erkennbaren) Batillipes Bärtierchen. Bildausschnitt ca. 5 mm.
Das oben bei stärkerer Vergrößerung gezeigte Tier stammt aus derselben Sandprobe. Der typische Sandkorndurchmesser hier im Bild entspricht mit ca. 0,1 - 0,2 mm in etwa der Körperlänge des obigen Bärtierchens. Man darf insofern auch bei höheren Vergrößerungen im Steromikroskop (z.B. 30x) keine "Elefanten" erwarten.

Wie wir trotzdem etwas finden können? Schauen Sie doch einfach im Dezember wieder hier vorbei!




Anmerkungen und weiterführende Literatur

(*) Bearonaut: Bärtierchenjournal-Kunstwort (Neologismus), enthält neben der leicht erkennbaren Anspielung auf die menschlichen Astronauten natürlich das englische Wort für "Bär" und, nicht zuletzt, auch noch das Verb "to bear ~ ertragen, erleiden".

Michael Lüttgen: Ökologie der interstitiellen Mikro- und Meifauna - Ein Glossar zur Ökologie und Untersuchungsmethodik des Mesopsammon und Hyporheon. Mikrokosmos 96 (2007) S. 207 - 216.


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© Text und Fotos von  Martin Mach